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Realos wollen Mittelstand besänftigen

Grünen-Reformer fordern, die Steuererhöhungspläne ihrer Partei noch einmal zu überprüfen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Vorfeld des Grünen-Parteitags in Berlin zeichnet sich eine Kontroverse über die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik der Partei ab. Der wirtschaftsnahe Flügel warnt vor »zu hohen Belastungen« für Unternehmen.

Die Grünen sind traditionell eine diskussionsfreudige Partei. Die Basis hat in den vergangenen Wochen etwa 2600 Anträge zum aktuellen Wahlprogrammentwurf eingereicht. Das Programm soll bei einer Bundesdelegiertenkonferenz Ende April in Berlin verabschiedet werden. Für die Programmdebatte nehmen sich die Grünen drei Tage Zeit. Die Partei wird mit moderaten Umverteilungsforderungen in den Bundestagswahlkampf ziehen. Entsprechende Beschlüsse wurden auf den Parteitagen in Hannover und Kiel gefasst. Der Spitzensteuersatz, der einst von Rot-Grün radikal gesenkt wurde, soll von 42 auf 49 Prozent steigen. Zudem streben die Grünen eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und die Einführung einer Vermögensabgabe an. Mit den Mehreinnahmen will die Partei in Bildung investieren und Schulden abbauen. Zudem gesteht sie den Hartz-IV-Betroffenen eine Erhöhung des Regelsatzes auf 420 Euro zu.

In der Steuerpolitik gibt es allerdings Kontroversen zwischen Vorstand, sogenannten Realos und Teilen der Partei, die dem linken Flügel zugerechnet werden, wie etwa die Grüne Jugend. Dieser geht die im Programmentwurf des Vorstands angestrebte Verdopplung der Erbschaftssteuer nicht weit genug. Der Parteinachwuchs will die Steuer mindestens verdoppeln. Auch in der Arbeitsmarktpolitik verlangt die Grüne Jugend eine deutliche Abkehr von der neoliberalen Agenda 2010. Sie fordert, dass ihre Partei Initiativen »hin zu einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden die Woche bei vollem Lohnausgleich« unterstützen soll. Zudem setzt sie sich dafür ein, dass Leiharbeiter nicht - wie die Parteispitze anpeilt - mindestens die gleiche Entlohnung erhalten, sondern mindestens 20 Prozent mehr. So bestehe ein Anreiz, schnell sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen.

Ganz anders sieht das der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der »Realo« will, dass Leiharbeiter erst nach einer Beschäftigungsdauer von mehr als einem halben Jahr die gleiche Entlohnung wie Stammbeschäftigte erhalten. Palmer sieht in der Leiharbeit, die von Rot-Grün einst dereguliert wurde, einen »wesentlichen Grund für den Aufschwung der Beschäftigung in Deutschland«. Sie solle nicht so verteuert werden, dass sie unattraktiv wird.

Auch Bundestagsfraktionsvize Kerstin Andreae ist gegen »hohe Belastungen« für Unternehmen. In einem Änderungsantrag fordert sie »angemessene Freibeträge« für Betriebe. Fälle, in denen Erbschaftssteuer und Vermögensabgabe parallel anfallen würden, sollten so berücksichtigt werden, dass keine doppelten Belastungen oder Substanzbesteuerungen auftreten. Zudem will Andreae, dass Reformen und Maßnahmen bei Steuern und Abgaben »in ihrer gesamten Wirkung« geprüft werden. Die Grünen wollten niemanden überfordern oder schädigen.

Offenbar fürchten die »Realos«, dass die Grünen nicht mehr als Mittelstandspartei wahrgenommen werden. Die deutsche Unternehmerlobby hat die Pläne der Partei jedenfalls schon heftig kritisiert. Der Bund der Deutschen Industrie monierte etwa, dass durch die Vermögensabgabe »ein massiver Schaden für den Standort Deutschland« entstehen würde. Denn sie treffe vor allem den Mittelstand. Vonseiten des Verbandes Die Familienunternehmer hieß es, die Abgabe werde Unternehmen Eigenkapital und damit Geld für Investitionen entziehen.

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