Einfach niedergejubelt

Vergeblicher Versuch: Verteidigungsminister verlässt Humboldt-Uni ohne Vortrag

  • Christoph Sator, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein letztes Wort will Deutschlands Verteidigungsminister doch noch loswerden. Eines wenigstens. Also stellt sich Thomas de Maizière im Audimax der Berliner Humboldt-Universität an den Laptop und tippt mit zwei Fingern »Schade«, was dann groß auf Leinwand projiziert wird. Das war's dann aber auch. Gleich danach ist der CDU-Politiker weg, ohne auch nur einen einzigen Satz gesagt zu haben. Einfach niedergejubelt von einer Hundertschaft Studenten.

Bislang mussten Deutschlands Politiker bei öffentlichen Auftritten damit rechnen, mit Eiern oder Tomaten beworfen zu werden. Neuerdings werden sie von Leuten, die sich oft nur übers Internet miteinander verabredet haben, so laut beklatscht, dass sie sich nur mit großer Mühe Gehör verschaffen können. Oder eben gar nicht. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat einen solchen »Flashmob« schon aushalten müssen.

De Maizière hatte eine ähnliche Situation schon im Dezember an der Universität Leipzig erlebt. Damals gelang es ihm aber, nach 20 Minuten eine Diskussion zustande zu bringen. An der Humboldt-Universität, wo er am Mittwochabend eine Rede zum Thema »Armee der Einheit - Der Beitrag der Bundeswehr zum gesellschaftlichen Zusammenhalt« halten wollte, hatte er keine Chance.

Kaum im Hörsaal, ging auf den Minister das gesamte Jubelprogramm nieder: Klatschen, Fußgetrampel, die »La Ola«-Welle und auch Sprechchöre wie »Thomas, wir lieben Dich«. Die ersten Versuche von Universitätspräsident Jan-Hendrik Olbertz, den Saal zur Ruhe zu bringen, verfolgte er noch von den reservierten Plätzen. Als dann nach einer Viertelstunde ein Student ans Mikro trat, ging de Maizière mit auf die Bühne.

Ohne Erfolg. Unten waren weder der 23-jährige Student noch der 59 Jahre alte Minister zu verstehen. Langsam kippte die Stimmung. Immer lauter wurden Rufe wie »Nie wieder Krieg«, »Nie wieder Deutschland« und »Deutschland ist Scheiße«. Studenten mit blutrot befleckten T-Shirts warfen sich vor das Podium.

Der CDU-Politiker versuchte dann, schriftlich mit den Studenten ins Gespräch zu kommen. »Wer hat Angst davor, ein Argument zu hören?«, tippte er ein. Und: »›Nie wieder Deutschland‹ ist einer Humboldt-Uni nicht würdig.« Die Antwort: Die Sprechchöre wurden noch lauter. Nach einer halben Stunde sagte de Maizière dann lapidar: »Das hat keinen Zweck« und ging. »Ich finde, es ist kein Zeichen von Stärke, eine solche Diskussion zu verhindern.«

Trotz der öffentlichen Verhöhnung will er weiterhin an Universitäten auftreten. »Berlin ist nicht überall.« Neue Termine gibt es einstweilen allerdings nicht. Vermutet wird aber, dass es vor den Bundestagswahlen am 22. September eine ganze Reihe von weiteren Flashmob-Aktionen geben wird, auch gegen andere Politiker.

Die Kanzlerin musste sich schon im vorigen Wahlkampf mit »Spaß-Störern« auseinandersetzen. Bei einem Auftritt 2009 in Hamburg wurde sie von einer größeren Gruppe, die über Facebook und Twitter zusammengefunden hatte, mit »Yeah«-Rufen am Reden gehindert. De Maizières Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wurde später mit Sprüchen wie »Gutti, Du hast die Haare schön« bespaßt. Fachleute nennen das »Protest durch Affirmation«.

Der Internet-Experte Markus Beckedahl von netzpolitik.org ist sich sicher, dass Flashmobs zum Wahlkampf 2013 dazu gehören werden. »Es ist halt inzwischen sehr einfach, sich für solche Aktionen übers Internet zu verabreden.« Beckedahl stellt einen »kulturellen Wandel« fest: »Früher war Politik immer äußerst ernst. Heutzutage ist man eher der Meinung, dass die freie Meinungsäußerung mit einem gewissen Spaßfaktor verbunden werden kann.«

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