Streit um „Technostrich" geht wieder los

Neue Initiative will RAW zum Denkmal erklären

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die einen ist es ein Schandfleck, für die anderen städtebauliches Kunstwerk: Das Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks nördlich der S-Bahn-Gleise zwischen Warschauer Straße und Modersohnbrücke, kurz: RAW. Hinter dessen bemalten Backsteinmauern befinden sich Nachtclubs, Ateliers, Sporthallen. „Stadtskulptur“ nennt es die Initiative „Erhalt des RAW als Kulturensemble“.

Erst Anfang des Jahres ist die RAW-Initiative entstanden. Mit einem Geländerundgang hat sie nun eine Serie von Aktionen in den nächsten Wochen begonnen. Eine feste Gruppe von 15 Anwohnern und Nutzern verfolgt dabei ein gemeinsames Ziel: das RAW für die Öffentlichkeit zu bewahren. Der Zuspruch sei groß. „Jede Woche kommen neue Mitglieder dazu“, sagt Kuno Zscharnack, der selbst auch in der Nachbarschaft wohnt.

Die Initiative tritt in einer Zeit in Erscheinung, in der es still geworden ist um das RAW. Keine Demos zu dessen Erhalt, keine Presseberichte. Hinter den Kulissen aber brodelt es. Am Mittwoch ist eine Sitzung des Stadtplanungsausschuss anberaumt. Dreimal ist das RAW dort auf der Tagesordnung zu finden. Um was genau es geht, wisse man nicht, meint Zscharnack: „Bis jetzt wurde viel hinter verschlossenen Türen verhandelt.“ Es existiert aber ein Bebauungsplan des derzeitigen Haupteigentümers, der R.E.D. Berlin Development GmbH. Wahrscheinlich werde nun über konkrete Einzelprojekte verhandelt, so Zscharnack.

Genau das ist das Problem. Die Aktiven befürchten eine Aufteilung des Geländes an einzelne Eigentümer und Investoren. „Das ist gefährlich“, sagt Felix Just, Bezirksverordneter der Piraten in Friedrichshain-Kreuzberg. Kleine Einheiten fänden viel einfacher Abnehmer. „Dann kann es sehr schnell gehen“, meint Just, „und von heute auf morgen ist Schluss.“

Zscharnack und seine Mitstreiter haben einen Antrag an die Bezirksverordnetenversammlung gestellt: Sie soll die Empfehlung an das Bezirksamt aussprechen, das Gelände als Ganzes zu erhalten, wenn möglich unter Denkmalschutz. Sie möchten den „Technostrich“, der Name, unter dem das RAW bei Berliner Partygängern bekannt ist, zum Familienparadies umbauen. In Halle eins, deren baufälliges Dach für das Public Viewing zur EM 2012 abgerissen wurde, würde die Initiative gern einen Nachbarschaftsgarten sehen. „Ich möchte keine romantische Verklärung betreiben“, sagt RAW-Aktive Jenny Goldberg. „Aber man muss sich fragen, wo Neubau sein muss und wo die Substanz erhalten bleiben kann.“

Konkret könnte es auf der Sitzung um Wohnhäuser gehen, die nach dem derzeitigen Bebauungsplan auf einer großen Freifläche im östlichen Teil des Geländes entstehen sollen. Bis zu 1000 neue Wohnungen seien laut der Initiative schon im Gespräch gewesen. „Wo bleibt denn da die Sinnhaftigkeit“, ärgert sich Zscharnack. Schon jetzt ist Friedrichshain-Kreuzberg der Teil Berlins mit der geringsten Naherholungsfläche. Als Richtwert gelten bei der Stadt sechs Quadratmeter Grün pro Kopf, hier sind es nur 1,2 m². Ein Stadteilmagazin schreibt über spezielle Angebote für Kinder: „Noch größer ist das Defizit im Sanierungsgebiet Warschauer Straße. Streng genommen gibt es dort gar keine öffentlichen Spielplätze.”

„Es bewegt sich etwas, und wir müssen sehen, dass das keine Fehlentwicklung wird“, meint auch Ralf Gerlich, der für die Piraten im Stadtplanungsausschuss sitzt und deren Fraktionsvorsitzender in Friedrichshain-Kreuzberg ist. „Man sollte hier sehr vorsichtig sein mit einer Nachverdichtung.“ Nutzungskonflikte zwischen den Bewohnern der potentieller Neubauten und den alten Anliegern seien vorprogrammiert: „Natürlich ist es laut auf dem RAW“, meint Gerlich. „Jeder, der die Pläne durchdenkt, weiß, dass es da Ärger geben wird.“ Dem gegenüber stünden der Verwertungsdruck der Eigentümer und eine Berliner SPD, die sich seit kurzem als Partei des Wohnungsbaus inszeniert.

Hochpreisige Miet- und Eigentumswohnungen machen laut Zscharnack zwei Drittel der Pläne für das Ost-RAW aus. „Nichts von dem, was hier geschaffen werden soll, ist für die eigentlichen Einwohner gedacht“, betont er. „Dabei war das Gelände preiswert, da sollten die Eigentümer auch behutsam und gemeinsam mit den Anwohnern vorgehen.“

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