Gefahrlos zum Arzt?

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Patienten ohne Papiere oder ausreichenden Versicherungsschutz haben keinen sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung. Was bedeutet das aus Sicht von Ärzten?
In den normalen Arztpraxen tauchen Menschen ohne Versicherungsschutz in der Regel gar nicht auf, wenn sie nicht jemanden direkt kennen. Die Folge ist, dass sie erst zum Arzt gehen, wenn es gar nicht anders geht. Krankheiten werden verschleppt und können zum Teil nur noch als Notfälle behandelt werden. Denn wenn sie einen Krankenschein beantragen laufen sie Gefahr aufzufliegen und abgeschoben zu werden.

Gestern hat die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer Empfehlungen für die Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten mit Migrationshintergrund veröffentlicht. Ein Punkt darin ist der Konflikt um die Schweigepflicht. Was fordern Sie diesbezüglich?
Unserer Ansicht nach ist zunächst ein gefahrloser Zugang zur Versorgung notwendig. Konkret heißt das, wir fordern die Abschaffung der Meldepflicht nach Paragraph 87 Aufenthaltsgesetz. Diese Meldepflicht gilt bisher nur bei Notfällen. Wenn Patienten ins Krankenhaus kommen, fallen sie unter die Schweigepflicht und die erhobenen Daten werden nicht weitergeleitet.

Gerade bei Asylbewerbern werden Entscheidungen über Arztbesuche häufig von nicht medizinisch Fachkundigen wie Heimleitungen getroffen. Das kann nur ein Arzt entscheiden, sagt die Ethikkommission. Schließen Sie sich dieser Forderung an?
Ja, die Krankenscheinvergabe für diejenigen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden, ist ein großes Problem. Wir fordern, dass auch für diese Gruppe Chipkarten ausgegeben werden, mit denen sie zum Arzt gehen können wie jeder andere auch.

Ein Arztbesuch kann nicht von der Einschätzung eines Sozialarbeiters abhängen. Ob eine Behandlung notwendig ist, darüber kann nur ein Arzt entscheiden.

Zunehmend sind auch EU-Bürger ohne ausreichenden Versicherungsschutz betroffen.
Ja, wir haben ein Problem mit Leuten, die aus den neuen Beitragsländern der EU kommen. Die leben und arbeiten hier, haben aber häufig keine Krankenversicherung. Besonders schwierig ist das bei Schwangeren. Wir vermitteln Schwangeren Entbindungsplätze, aber unsere Kapazitäten sind einfach erschöpft, so dass wir den Frauen manchmal nur sagen können, wenn die Wehen einsetzen, geht ins Krankenhaus. Das ist bei schwierigen Geburten mit einem hohen Risiko verbunden. Hier gibt es häufig die Einstellung, die Frauen könnten einfach »nach Hause« gehen und ihre Kinder dort kriegen, aber so einfach ist das nicht. Sie haben hier ihren Lebensmittelpunkt, werden teilweise verfolgt und haben in ihren Herkunftsländern keinen ausreichenden Versicherungsschutz.

Für diese Fälle fordert die Ethikkommission die Bundesregierung auf, EU-weit eine Lösung zu finden. Reicht das aus?
Natürlich könnte man auch innerhalb von Deutschland dafür sorgen, dass diese EU-Bürger leichter ins bestehende System integriert werden, ihr Zugang zur Krankenversicherung wird ja auch durch die arbeitsrechtlichen Vorbehalte erschwert. Darüber hinaus ist es aber wichtig, auf EU-Ebene Lösungen zu finden.

Fragen: Haidy Damm

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