Ein unheimliches Summen und Grollen

Schon einmal war in einem Prozess gegen Nazis der Gerichtssaal zu klein

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Montag beginnt der Prozess um die zehn Morde des »Nationalsozialistischen Untergrundes« im Justizzentrum an der Nymphenburgerstraße 16 in München. Von hier aus sind es lediglich 650 Meter, acht Gehminuten, um zur Blutenburgstraße 3 zu gelangen. Dort fand vor fast neun Jahrzehnten der Prozess gegen einen gewissen Adolf Hitler statt.

»Das Haus ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Vorhang geht auf. Richter, Staatsanwälte, Verteidiger, Bewaffnete. Die Angeklagten werden hereingeführt.« So beschreibt die Münchner »Großdeutsche Zeitung für nationale und soziale Politik« den Prozessbeginn gegen Adolf Hitler, Erich Ludendorff und andere am 26. Februar 1924. Die Anklage lautet auf Hochverrat.

Das Verfahren erregt internationales Aufsehen. Und weil auch schon damals in München kein Gerichtssaal vorhanden ist, der groß genug wäre, um den Andrang der Pressevertreter und Zuschauer zu fassen, wird die Verhandlung in einen Saal der ehemaligen Infanterieschule an der Blutenburgstraße verlegt. Die Zeitungen berichten, dies sei »wohl der größte politische Prozess, der je von einem Münchner Gericht abgehandelt wurde«. Schon seit Tagen ist das Gebäude von Polizei und Reichswehr abgesichert. Der fast quadratische Sitzungssaal bietet Raum für 300 Personen; die rückwärtigen Tische sind für die Presse reserviert. Es geht um einen Putschversuch gegen die Republik:

Der 9. November 1923 war ein grauer regnerischer Tag. An jenem Freitagvormittag marschierten 2000 bewaffnete Männer vom Münchner Bürgerbräukeller aus in die Innenstadt. In Achterreihen ging es die Rosenheimer Straße hinunter, ein Polizeiposten an der Ludwigsbrücke wurde verhaftet. Vorneweg marschierten Hitler, Ludendorff, Hermann Göring und andere NS-Größen, unmittelbar hinter ihnen der »Stoßtrupp Hitler«, eine Sondereinheit der SA. Hitler hatte in der Nacht zuvor im Bierkeller die »nationale Revolution« ausgerufen. Am Marienplatz vermischte sich die Kolonne mit Schaulustigen. Der spätere Gründer des antisemitischen Hetzblattes »Der Stürmer«, kündigte in einer Rede an die Menge an, jüdische Profitmacher würden an Laternenpfählen aufgehängt. Von einem Balkon des Münchener Rathauses flatterte eine riesige Hakenkreuzfahne, die SA hatte das Haus gestürmt und den sozialdemokratischen Bürgermeister festgenommen.

Um die »Machtergreifung« zu vollenden, befahl Ludendorff den Weitermarsch zum Wehrkreiskommando an der Schönstraße, um sich mit den Truppen von SA-Führer Ernst Röhm zu vereinen. Der Weg dahin ging über die Residenzstraße, die zum Odeonsplatz führte. Dort allerdings standen Landespolizisten, bewaffnet mit Maschinengewehren und einem Panzerwagen. Die Marschkolonne mit Ludendorff und Hitler an der Spitze bewegte sich auf die Polizeikette zu, es kam zu einem Handgemenge, bei dem sich ein Schuss löste. Darauf begann ein Feuergefecht, an dessen Ende 13 Putschisten und vier Polizisten tot auf der Straße lagen, zudem ein unbeteiligtes Opfer.

Der Putsch war gescheitert. Hitler, Ludendorff, Röhm und sieben weitere Verschwörer werden angeklagt. Die Berichterstattung widerspiegelt die gesellschaftliche Stimmung im Lande und fachte sie zugleich an. So ist in der »Großdeutschen Zeitung« zu lesen: »Atemlose Stille liegt über dem verdunkelten Zuschauerraum - und doch tönt von irgendwo wie aus den Tiefen deutscher Seele, nur dem feineren Ohr vernehmbar, ein vieltausendstimmiges Summen und Grollen, unheimlich und drohend.« Zehn Jahre später wird aus dem drohendem Summen und Grollen ein millionenfaches »Sieg Heil«.

Hitler nutzt den Prozess als politische Bühne. Er habe gar keinen Hochverrat im eigentlichen Sinne begehen können, da die Weimarer Republik selbst aus einem »Verrat« am Vaterlande hervorgegangen sei. Er meint die Novemberrevolution von 1918. Und wenn man ihn anklagt, müsse man auch die bayerische Regierung anklagen, die ja ebenfalls die Weimarer Republik verachte. In der Tat kann sich Hitler in Bayern vieler Sympathien erfreuen, darunter seitens des bayerischen Justizministers Franz Gürtner. Und Richter Georg Neithardt, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, hatte bereits bei dem Urteil gegen Graf Arco, dem Mörder des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, seine rechte Gesinnung nur allzu deutlich werden lassen. Das Gericht weigert sich denn auch, Hitler die bürgerlichen Ehrenrechte abzuerkennen, weil die Handlungsweise »des jungen politisch unmündigen Mannes nicht niedriger Gesinnung, sondern der glühendsten Liebe zu seinem Volke und Vaterlande entsprang«. Hitler wird zu fünf Jahren Festungshaft und einer Geldbuße von 200 Goldmark verurteilt, jedoch bereits nach einem halben Jahr, am 20. Dezember 1924, aus der Festung Landsberg entlassen.

Die vier getöteten Polizisten spielten im Prozess keine Rolle. Erst 1993 (!) unterstützte der Münchner Stadtrat die Errichtung eines Denkmals für sie, was auf wenig Gegenliebe beim bayerischen Innenministerium stieß, das die Anbringung einer Tafel an der Feldherrnhalle ablehnte. So sah sich die Stadt gezwungen, an die republiktreuen Toten mit einer Bodenplatte auf dem Odeonsplatz zu erinnern. »Ich hoffe nicht, dass es in München Gewohnheit bleibt, zwar Könige oder Künstlerpersönlichkeiten mit großen Denkmälern zu ehren, nicht aber jene, die von rechten Gewalttätern niedergestreckt wurden«, beklagte damals zu Recht Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) Bayerns Erinnerungskultur.

Erst 2010 ließ sich das Innenministerium erweichen und genehmigte eine Gedenktafel an der Westfassade der Residenz, am Schauplatz der Schießerei von 1924. In der Residenz war die Hundertschaft untergebracht, der die vier getöteten Polizisten angehört hatten. Bei der Einweihung der Tafel schwadronierte indes der damalige Innenminister Joachim Herrmann (CSU), man bekämpfe rechte wie linke Gewalt; und er verstieg sich gar zu der Behauptung, Bayern zähle zu den Bundesländern, die am wenigsten mit rechtsextremistischer Gewalt belastet seien. Wie falsch diese Aussage war, wurde wenige Monate später deutlich, als fünf in Bayern verübte Morde dem NSU zugeschrieben werden mussten.

Auf der Großdemonstration gegen Naziterror und Rassismus am 13. Februar forderte eine Vertreterin des Münchner Ausländerbeirates eine Gedenktafel für die bayerischen NSU-Opfer, und zwar »so schnell wie möglich«. Man kann nur hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt und die Angehörigen der Opfer erneut ewig hingehalten werden.

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