Abseits der blutleeren Lehrstückadaption

»Der Jasager« von Kurt Weill und »Der Neinsager« von Reiner Bredemeyer in der Werkstatt der Berliner Staatsoper

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Was man mit älterem Material alles anrichten kann. Das schwer zu verwirklichende Einfache hatte seine Stunde in der »Jungen Staatsoper«. Elan, Klarheit, Spielwitz brachen sich Bahn. Auf höchst lustvolle, intelligente, hör- und sehenswerte Weise. Die Werkstatt im Schillertheater jedenfalls war prall voll. Vorzugsweise junge Leute saßen sich gegenüber auf den weißen Podesten. Dazwischen fand das von Brecht umgewidmete chinesische No-Spiel statt, wo es harte Nüsse zu knacken gibt. Vorgeführt in zwei Versionen.

Die Story ist schlicht: Der Lehrer geht auf kollektive Expedition, der Knabe macht die Reise mit, um Medizin und Unterweisen für die kranke Mutter zu holen. Unterwegs macht er schlapp. Er hält die Expedition auf. Die aber muss, koste es, was es wolle, vorankommen. Der Konflikt nimmt seinen Lauf. Der große Brauch verlangt dem Knaben ein »Ja« ab, das seinen Tod beschleunigt.

Auf der Empore musizierte das Kammerensemble, geleitet von Max Renne. Der musste sukzessive zwei verschiedene Instrumentarien bedienen. Die Bredemeyer-Version des »Neinsagers«, 1990 von ihm überhaupt zum ersten Mal komponiert (Kurt Weill hatte seinerzeit abgelehnt, das Projekt fortzuführen) braucht mehrere Pauken, verzichtet anders als Weill auf die Violinen, setzt stattdessen tiefe Streicher ein, dazu wenige Holz- und Blechbläser. Schon da liegt einer der Unterschiede.

Weill schrieb den »Jasager« 1930 für Schüler. Die haben damals begeistert mitgemacht und über ihre Arbeit diskutiert. Das erfüllte den Charakter des Lehrstücks vom Einverständnis. Solche Lehrstücke, ursprünglich nicht für Publikum bestimmt, sollten fasslich, nachvollziehbar und vokal-instrumental nicht zu schwierig umzusetzen sein. Auch Bredemeyer berücksichtigt das. Seine Partitur indes verzichtet auf zwölftönig komponierte instrumentale Gesten und vokale Partien keineswegs. Erstaunlich nur, dass darunter die Textverständlichkeit nicht leidet, selbst in der »Küchen-Fuge« nicht, wo Mutter, Sohn und Lehrer terzettieren.

Der Chor (Einstudierung Frank Flade) verkörpert eine überaus bewegliche Maskerade, alle tragen lange Stangen oder Ruten. Und so muss der unglückliche Knabe, weil er auf dem Wege zur Medizin hinter den Bergen nicht weiterkommt, Spießrutenlaufen wie die Rekruten beim ollen Soldatenkönig, bevor er die Leiter freiwillig hochsteigt und in die schwarz betuchte Kalkgrube gestoßen wird.

Es scheint, die Masken der rosadurchsichtig gewandeten Choristen und drei Studenten, eine blutjunge, spielbegeisterte Truppe, machen sich lustig über die Zuschauer. Alle Masken sind gleich, allein die Münder, Zähne, Unterbacken, die hervorlugen, nicht. Und die, mal starr, gleichgültig, ernst, mal schief, gehässig, listig, lustig, treiben ihren Schabernack mit den Augenpaaren ringsum.

Chinesisch die Stockspiele, die Stäbe drehen wild. Im »Jasager« begleitet ein Harmonium (E-Orgel) die Gesetzesverkündung: »Höre gut zu!« Eine lange Pause kommt, ehe die folgenreiche Antwort des Knaben (Tim Fluch) vernehmlich wird. Zuvor schleppt der Chor den Knaben - »Er hat ›Ja‹ gesagt, er hat dem Brauch gemäß geantwortet« - und überantwortet ihn dem Lehrer. Der läuft, als wäre er am linken Bein von einer Mücke gestochen worden, und er singt seine Rolle in beiden Versionen so klar und eindringlich, dass der Beobachter vermeint, im falschen Betrieb zu sein.

Brecht/Bredemeyers Gegenmodell kehrt die finale Lösung des »Jasagers« um. Da sagt der Knabe »Nein!« Jede neue Lage bedürfe der neuen Überlegung. Wer A sagt, muss nicht B sagen, das A könne falsch sein.

Eine höchst klare, sinnfällige, genaue Regiearbeit (Aniara Amos) durften die Leute erleben. Wie selten ist das. Nichts schien kalt inszeniert, wie derlei die blutleere Lehrstückadaptiergilde unter den Brechtianern zeitweilig suggerierte. Allein die Anlage der beiden Opern, ihr Ausdrucksgehalt, ihre Gestik, geht in die Richtung des Dramas, der Passion - zum Höhepunkt geführt in Brecht/Eislers »Die Maßnahme«, die ihrem Grundkonflikt nach an den »Jasager« anschließt. Denn es geht um Tötung in tödlicher, alle Beteiligten gefährdender Situation und darum, sich einer »höheren Sache« willen zu opfern, zur eigenen Tötung bereit zu sein, mit »Ja« zu antworten. Im »Jasager« ist es der große Brauch, der zu solcher Handlung nötigt. Der »Neinsager« ist die unausweichliche Folge des »Jasagers«. Insofern gehören die Stücke geschwisterlich zusammen. Viel Beifall am Ende.

Nächste Vorstellung: 7.5.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.