Gastarbeiter und Volksego

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Letzte Woche flatterte das Ergebnis einer Bertelsmann-Studie durch die Medien. Danach seien Zuwanderer oft besser ausgebildet als Deutsche. Das SWR-Radio fragte deshalb in einem Feature „kritisch“ nach. Schon die erste Frage an eine nicht näher vorgestellte Expertin ärgerte mich.

Die Moderatorin fragte tatsächlich, ob denn das klassische Bild vom Gastarbeiter, der nur Hilfsarbeitertätigkeiten übernahm, noch gelte. Dies ist die allgemeine Legende, nicht nur beim SWR glaubt man an den südländischen HiWi, der nichts war, nichts konnte, in Deutschland als Handlanger aber eine gnädige Chance bekam.

Es ist genau diese deutsche Arroganz, mit der Gastarbeiter in diesem Lande viele Jahrzehnte zu ringen hatten. Doch weder waren die Leute, die in den Sechzigerjahren nach Deutschland kamen, unausgebildet oder gar dumm, noch waren deutsche Arbeitnehmer haushoch überlegen in ihrer Fachkompetenz. Die Studie aus dem Hause Bertelsmann kann man sicher, wie jede Studie und überdies wie jede Studie aus dem Hause Bertelsmann, kritisieren. Dass aber selbst "kritische Nachfrager" ihre ganze Verachtung einflechten, zeigt doch eindrücklich, wie unzufrieden man mit Resultaten ist, die nicht das allgemeine Weltbild bauchpinseln.

Mein Vater war ein solcher „klassischer Gastarbeiter“. Er kam 1962 nach Deutschland. Unter anderem arbeitete er in der Schweißerei bei Audi. Kein Wunder, denn er war ausgebildeter Schweißer, eine Fachkraft also, kein ungelernter Hilfsarbeiter. Zu jener Zeit kamen viele Spanier nach Deutschland. Kaum einer war dabei, der ohne berufliche Grundlagen ein Abenteuer in diesem mitteleuropäischen Land wagte. Mag natürlich sein, dass viele von ihnen in Arbeitsstellen geparkt wurden, die ihrer Qualifikation gar nicht entsprachen, aber deswegen waren sie noch lange keine klassischen Hilfsarbeiter, sondern eher das in die Bundesrepublik hinübergerettete Prinzip des Fremdarbeiters brauner Provenienz.

Was mich als Jugendlichen staunen ließ, waren die Berichte aus den Werkshallen jener Zeit, die mir mein Vater nachlieferte. Fachliche Kompetenz war da unter deutschen Kollegen nicht hochgradig zu verzeichnen. Manche sollen sogar Probleme beim Nachrechnen der Lohntüte gehabt haben. Mein Vater glaubte, dass das auch der Tribut des Krieges war - der Blutzoll, wenn man so will. Seine These war, dass viele kluge Köpfe aus Deutschland verjagt wurden, andere in Krieg oder Gefangenschaft starben, weswegen ein intellektuelles Vakuum entstanden ist, in dem Fachlichkeit aber auch einfaches Grundwissen einen schweren Stand hatten. Ich denke nur an die Geschichte, in der sich mein Vater mit einem deutschen Kollegen im Clinch befand, weil letzterer meinte, Mallorca sei ein autonomer Staat und nicht zu Spanien zugehörig.

In diesem Vakuum darbte nicht nur Wissen, sondern breitete sich ein neuer, weniger laut trommelnder Rassismus aus, ein alltägliches Naserümpfen gegenüber Ausländern, eine Mentalität des „Wir-gegen-die“, jetzt aber nicht mehr mit aggressiven Rassentheorien, sondern indem man Abschlüsse aus dem Ausland nicht anerkannte, Facharbeiter zu HiWis machte oder die Arbeitsleistung ausländischer Mitarbeiter für eine Kulturleistung erklärte, die sie in Deutschland beigebracht bekamen. Kurzum, die Dummheit alltäglicher Werkshallen-Xenophobie und der Substanzverlust auf deutscher Bildungs- und Ausbildungsebene bedingten einander.

Wenn der SWR nun dieses angeblich so klassische Bild vom Gastarbeiter zur Sprache bringt, dann stochert er in diesem Vakuum der Nachkriegsjahre herum. Für die „kritischen Nachfragen“ ist diese Bertelsmann-Studie auch deshalb so unglaublich, weil sie die liebgewonnene Fremdenfeindlichkeit aus der Werkshalle revidiert. Denn das Deutsche (fachlich) klüger und gebildeter sind als alle anderen, das ist das auf jenen damaligen Minderwertigkeitskomplex fußende Wir-Gefühl, die Grundlage dieses deutschen Patriotismus. Ein Erbe bundesdeutscher Werktätiger, das man nicht einfach so vergessen möchte, weil es so schmeichelnd ist für das eigene Volksego.

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