Der Tag, der Borken veränderte

Vor 25 Jahren explodierte in Nordhessen die Grube »Stolzenbach«, 51 Kumpel starben

  • Timo Lindemann, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Braunkohlebergbau hatte Tradition im hessischen Borken, doch dann kam das Grubenunglück vor 25 Jahren, bei dem 51 Kumpel starben. Das bedeutete auch das Aus für die hiesige Grube. Mittlerweile hat sich die Region halbwegs erholt. Hinterbliebene kämpfen jedoch noch immer vor Gericht dafür, zu klären, wer für das Unglück verantwortlich ist.

Borken. Die Erinnerung ist wach in Borken, auch 25 Jahre nach dem Grubenunglück. Am 1. Juni 1988 erschütterte eine Kohlenstaubexplosion die Grube »Stolzenbach«, 51 Bergleute kamen ums Leben. Fast alle starben an den giftigen Gasen, die sich infolge der Explosion bildeten. Eine gigantische Rauchsäule stand über dem 14 000-Einwohner-Städtchen in Nordhessen.

Drei Tage später, genau 65 Stunden, wurden sechs Bergleute aus 150 Metern Tiefe aus einer Luftblase gerettet - das »Wunder von Borken«. »Das Grubenunglück spielt immer eine wichtige Rolle«, sagt Bürgermeister Bernd Heßler (SPD) über die Stadt. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), damals junger Justiz-Staatssekretär, war damals bei der Trauerfeier für die Kumpel. Diese sei sehr ergreifend und bedrückend gewesen, erinnert er sich.

Das Unglück bedeutete das Ende des Borkener Braunkohlebergbaus mit 2000 Arbeitsplätzen. Das angeschlossene Kraftwerk wurde knapp drei Jahre nach der Katastrophe abgestellt. »Wir haben eine schwierige Situation genutzt, und es ist uns gelungen, den Strukturwandel zu vollziehen«, konstatiert Bürgermeister Heßler, der damals gerade erst wenige Monate im Amt war.

Borken bekam Unterstützung von der Landesregierung, ein Sonderfonds machte den Wandel möglich. »Wir brauchten eine neue Perspektive«, betont Heßler. Heute gibt es einen Industriepark mit rund 70 Unternehmen, die Stadt setzt auf Tourismus, zudem gibt es ein mit Preisen ausgezeichnetes Bergbaumuseum.

Dort werden Reservegeräte aus der Unglücksgrube gezeigt. Heinz Hartung führt Besuchergruppen durch den rekonstruierten Stollen. »Ich war 33 Jahre lang für die Förderbandanlage zuständig«, erzählt der 81-Jährige. 15 Monate vor dem Unglück ging er in Rente. »Sonst hätte es mich ganz bestimmt erwischt.«

Am Jahrestag des Unglücks ist eine Gedenkveranstaltung geplant, auch Bouffier hat sein Kommen angekündigt. Zudem soll es bald im Bergbaumuseum eine Dauerausstellung über die Katastrophe geben. Museumsleiter Ingo Sielaff plant eine Zeitzeugenbefragung, doch reden wollen die wenigsten über das Unglück. »Der Stachel sitzt tief«, sagt er.

Stolz ist Bürgermeister Heßler vor allem auf die Landschaft mit vier großen Seen, die einst der Tagebau schuf. Hier sieht er weiteres touristisches Potenzial. »Borken hat keine Fachwerktradition, aber das Seenland ist einmalig.« Der Sonderfonds habe Borken die Möglichkeit gegeben, sich zu wandeln, sagt Heßler. Von 20 Millionen Mark an Gewerbesteuereinnahmen zu Bergbauzeiten sind heute allerdings gerade einmal drei Millionen Euro pro Jahr geblieben. Der Bürgermeister ist dennoch zufrieden.

Doch die Stadt steht vor der nächsten Herausforderung: »Der demografische Wandel muss bewältigt werden«, sagt Heßler. »Wir haben weniger Bevölkerung, Immobilienleerstand und viel Aufwand zum Erhalt der Infrastruktur«, betont er. Diese sei in den Bergbauzeiten aufgebaut worden. Vor allem in den Randgebieten sei es immer schwieriger, sie zu erhalten. Doch auch die Geschichte lässt Borken noch nicht los: Seit 2009 kämpfen Hinterbliebene vor dem Landgericht Kassel dafür, zu klären, wer für das Grubenunglück verantwortlich gemacht werden kann. Sprechen wollen sie darüber nicht. Der Prozess ist derzeit unterbrochen, laut Gerichtsangaben ist ein ergänzendes Gutachten nötig. Erst danach werde das Verfahren wieder aufgenommen. Ein Gerichtssprecher sagte, es sei nicht absehbar, wann der Prozess zu Ende geht.

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