Mangelware Kitaplätze

Ob der Rechtsanspruch ab 1. August erfüllt werden kann, ist noch unklar

  • Malene Gürgen
  • Lesedauer: 4 Min.

Genau zwei Monate. So lange hat Berlin noch Zeit, für ausreichend Kitaplätze zu sorgen - denn zum 1. August tritt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ein- und zweijährige Kinder in Kraft. Doch ein Blick auf die Wartelisten in vielen Berliner Kitas lässt Zweifel daran aufkommen, ob es bis dahin wirklich ein ausreichendes Betreuungsangebot geben wird. »Bei uns haben alle Kitas lange Wartelisten, die Situation ist eng«, sagt Susanne Kabitz von dem Eigenbetrieb »Kindergärten City«. Immer wieder würde sie Mails von verzweifelten Eltern bekommen, die keinen Platz finden - oder zumindest keinen, den sie in Anspruch nehmen können oder wollen. »Es gibt zwar in Berlin noch ein paar freie Plätze, aber die sind dann natürlich nicht unbedingt im Wohnumfeld der betreffenden Eltern gelegen«, sagt Kabitz.

Diese Situation ist kein Einzelfall: Der aktuelle Bedarfsatlas zeigt, dass die Situation in den meisten Gegenden alles andere als entspannt ist: In nur zehn von 135 Regionen gibt es genügend Plätze. Überall sonst sind die Plätze entweder jetzt schon viel zu knapp oder werden es in naher Zukunft sein. Bei der zuständigen Senatsverwaltung für Bildung zeigt man sich dennoch optimistisch: »Wir sind sehr gut aufgestellt«, sagt Sprecher Ilja Koschembar. Zwar habe sich der Bedarf tatsächlich noch einmal erhöht, jedoch ginge der Ausbau der Kitaplätze zügig voran. Die Zahlen bestätigen das: 2012 standen rund 142 400 Plätze zur Verfügung, fünf Jahre zuvor waren es nur 128 000 - ein Anstieg von 11,4 Prozent. Allerdings stieg auch die Anzahl der Kinder unter sechs Jahren um 10,6 Prozent und soll weiter steigen. Der Bedarf ist also groß.

Kitas in Berlin

● In Berlin gibt es 2050 Kitas, knapp 19 800 Menschen arbeiten dort als pädagogisches Personal. Rund 94 Prozent Kinder zwischen drei und sechs Jahren werden betreut, bei den Ein- und Zweijährigen sind es 66 Prozent.

● Mit Hilfe eines Landesprogramms über 20 Millionen Euro und des

● U-3-Programms des Bundes sollen bis zum Jahr 2015 11 000 neue Kitaplätze entstehen

● 53 Prozent der Plätze sind mittlerweile in freier Trägerschaft

● Kinder aus migrantischen Familien sind in Kitas unterrepräsentiert: Ihr Anteil liegt bei 32 Prozent, obwohl sie insgesamt 43 Prozent der Berliner Kinder ausmachen. mgu

Diesen Eindruck bestätigt auch Babette Sperling vom Dachverband Berliner Schüler- und Kinderläden. »Die Situation ist jetzt schon eng, und wenn der Rechtsanspruch in Kraft tritt, wird es kräftig knirschen«, sagt sie. Die vorhandenen freien Plätze reichten nicht aus, damit Eltern ihr Wunsch- und Wahlrecht tatsächlich wahrnehmen könnten, so Sperling. Sie erwartet, dass die Situation sich, wenn nicht schon im August, spätestens im Frühjahr dramatisch zuspitzen wird: »Die Belegungsspitze, die normalerweise im April/Mai erreicht ist, wird diesmal schon sehr viel früher da sein.« Und: »Eltern, die ihr dann einjähriges Kind im Frühling in die Kita geben wollen, werden große Probleme bekommen.«

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) weist auf ein weiteres Problem hin: In Berlin gebe es zu wenig qualifizierte Erzieher. Deshalb würden immer mehr Quereinsteiger ohne die nötige pädagogische Qualifizierung eingesetzt werden. »Offenbar wird hier nach der Devise verfahren: Bei kleinen Kindern kommt es nicht so drauf an«, erklärt Doreen Siebernik, die Landesvorsitzende der GEW Berlin.

Zumindest eine Baustelle soll jetzt allerdings angegangen werden: Die Senatsverwaltung für Bildung kündigte an, Ordnung in das Wartelisten-Wirrwar bringen zu wollen. »Viele Eltern melden sich gleichzeitig in zwanzig verschiedenen Kitas an, weil sie Panik haben, sonst keinen Platz zu bekommen«, schildert Sperling das Problem. Ein computergestütztes Anmeldesystem soll nun Abhilfe schaffen. »Künftig wird es möglich sein, eine zentrale Übersicht über die tatsächlich verfügbaren Plätze zu haben«, sagt Bildungssprecher Koschembar. Wer einen Kitaplatz bekommt, soll dann sofort von allen anderen Wartelisten gelöscht werden. Voraussetzung ist natürlich, dass alle Kitas an das System angeschlossen sind und ihre Daten sofort eingeben - aus Sicht von Babette Sperling ein ambitioniertes Ziel, zumal das System bereits zum Endes Jahres in Betrieb gehen soll.

Gute Nachrichten gibt es allerdings auch, zum Beispiel aus Marzahn: Hier wurde vor einer Woche Berlins erste Kita im Bestand einer Wohnungsgenossenschaft um weitere Plätze vergrößert. »Wohnungsgenossenschaften müssen zunehmend selber aktiv werden und Familien und junge Eltern bei der Kinderbetreuung unterstützen und entlasten. Nicht zuletzt auch, um langfristig für diese Zielgruppe attraktiv zu bleiben«, sagt Uwe Heß, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Marzahner Tor, die die Kita betreibt.

60 Prozent der Kinder kommen hier aus den Wohnungen der Genossenschaft, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden.

Auch anderswo gibt es Erweiterungen und Neugründungen, 51 neue Einrichtungen sind 2013 bereits eröffnet worden. Noch im Jahr 2010 waren es insgesamt nur 67. Dennoch, viele Eltern müssen weiter bangen: Die neueste Bevölkerungsprognose sagt voraus, dass bis 2017 15 300 Plätze fehlen werden. Die bisher im Haushalt eingeplanten 20 Millionen Euro werden dafür nicht ausreichen - bisher ist von einer Erweiterung des Programms aber keine Rede.

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