Das »wilde Tier«

Berliner Ensemble: Katharina Thalbach und Martin Wuttke lesen Gedichte von Thomas Brasch

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Katharina Thalbach. In Ihrem Spiel trifft die Gelsomina des Clowns Fellini auf die Achse Besson-Brecht, Lust trifft auf List, Leidfähigkeit auf Lachnerv. Weibs-Pumuckl, der bei Shakespeare Puck heißt. Schon das junge zarte schöne Grinsen hatte bei der Thalbach was vom Fach der Ko(s)mischen Alten. Kosmisch ist, wenn man am Erdenleben frech die Finsternisse liebt - wie sie dauerhaft Lichtmasken wechseln.

Martin Wuttke. Der barfuß zur Schule ging. Dresen, Schleef, Müller. Er bekam diese Namen nicht in die Haut gebrannt, aber sie stehen für das, was ihm spielerisch unter die Haut geht: das Raue, das Obsessive, das heiß Verachtete, das kalt Geliebte. Wuttke, einer der körperlichsten, verausgabungsgeilsten deutschen Schauspieler: Geh hin und sieh und hör - und lab dich an der Selbsterkenntnis, dass mittlere Gemütstemperaturen lästig und langweilig sind. Nur im Kunsterlebnis ist solche Selbsterkenntnis - Genuss.

Womit nun endlich dieser Name fällig ist: Thomas Brasch. »Das wilde Tier«, wie die Thalbach sagt, die dreiunddreißig Jahre mit dem Dichter lebte. Die sagte, alle Braschs wären am Faschismus gestorben: Juden, vertrieben, Einsamkeit und Entwürdigung - dies wurde dann umgeleitet in »Kampfgeist für den neuen Staat« im Osten Deutschlands. Sie hat Thomas Brasch nie helfen können. Denn: Sie hat ihn geliebt. Das ist ein Unterschied - unbekannt bei den Biederleuten. Brasch: über Brecht reden, klug wie keiner - und auf Weiberknie schauen, spitz wie keiner. Leidend am Leben, mit brennendem Sprachgefühl für eine Dichtung gegen jegliche Macht. Er hatte Fieber, wo die SED ihre Zäpfchen der Benebelung in die Hirne schob; es war für'n Arsch.

Nun sind Braschs Gedichte erschienen, eine wuchtige Vollständigkeit (herausgegeben von Martina Hanf und Kristin Schulz); Thalbach und Wuttke lesen am Sonntag im BE. Dort, wo der Dichter, bei Peymann, seine letzte künstlerische Heimat hatte. Letzte Gunst, letzte Konflikte, viel Verständnis, viel Krieg - wenn Peymanns Werk zur Bilanz steht, wird diese Treue zu Brasch, von Bochum bis Berlin, ein großer Wert sein. Der Riecher für Räudige.

Thomas Brasch - so Fritz J. Raddatz am Grab des 2001 Gestorbenen - litt daran, »dass wir die Arme nicht mehr hochbekommen, um das Nötige zu tun: jede staatliche Ordnung mit ihren Wurzeln aus unserem Leben und unseren Herzen zu reißen«. Jede staatliche Ordnung. Auch die westliche. Ein Aufruf zur Einsamkeit. »Am schlimmsten sind jene, die nicht auffallen, die sich auf ein Ideal berufen, die auf Zukunft hoffen, die irgendwann noch immer nicht auffallen und die das als listigen Sieg ihres Charakters feiern.« Brasch. Gilt heute, wie es immer galt. Aber es ist schon den Hinweis wert: ein Satz aus DDR-Zeiten.

Es gibt die Unerbittlichkeit. Brasch war ein erbittlicher Dichter. Verführbar, erweckbar, erreichbar, wo die Glashäuser der bürgerlichen Ordnung nach dem ersten Stein flehten. Brasch warf. Sich selber. Stürzte nieder. Viele stürzen nieder. Von ihm aber wird weiter gesagt werden, noch wo Aufprall geschah: Flug!

Berliner Ensemble, 16.6., 11 Uhr
»Die nennen das Schrei«, Gedichte von Thomas Brasch (Suhrkamp, Mai 2013, 1029 Seiten, 49,90 €).

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