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Jeder Stein ein Schicksal

Petra Fritsche ist Mitglied der Stolperstein-Initiative

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Sobald Petra Fritsche anfängt, über die Geschichte der Friedenauer Stierstraße und ihre ehemaligen jüdischen Bewohner zu erzählen, wird es ganz still in der Schülergruppe. Mit ruhiger, eindringlicher Stimme erklärt die großgewachsene Frau den Schülern der Paul-Natorp-Oberschule die Hintergründe der in den Boden eingelassenen Stolpersteine. Wenn sie wie am vergangenen Freitag vor Interessierten über ihr Herzensthema spricht, ist die studierte Kommunikationswissenschaftlerin merklich in ihrem Element. »Die Stolpersteine erinnern uns daran, dass die Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger während des Nationalsozialismus direkt vor den Haustüren und unter den Augen aller begann. Der Prozess der Diskriminierung endete schließlich in den Konzentrations- und Vernichtungslagern«, erläutert die ehrenamtliche Stadtführerin.

Seit nunmehr fünf Jahren engagiert sich die Friedenauerin schon in der 2005 gegründeten »Initiative Stolpersteine Stierstraße«. In Archiven forscht sie zu den Opfern und ihren Lebensgeschichten. Per Anzeigen und Briefen nimmt sie Kontakt zu Überlebenden und Nachkommen in aller Welt auf. Momentan schreibt sie an einer wissenschaftlichen Arbeit über das Stolperstein-Projekt. »Hinter jedem dieser Steine steht die Geschichte eines Menschen. Auf den Platten sind Namen, Geburtsdatum, Tag der Deportation und Todestag eingraviert. Durch die Recherche und Gespräche mit Nachkommen sind mir diese Leute persönlich sehr nahe gekommen«, sagt Petra Fritsche. Doch das Engagement für die Opfer der Shoah gefällt nicht jedem im Kiez. Erst vor zwei Wochen wurden zum wiederholten Male die Gedenkplatten mit schwarzer Farbe geschändet. Durch eine schnell ins Leben gerufene Putzaktion, an der sich neben Anwohnern und Bezirkspolitikern auch Kinder und Jugendliche beteiligten, erstrahlen die Messingplatten inzwischen aber schon wieder in neuem Glanz.

Vor gut einem Monat wurde Fritsche selbst zum Ziel des Hasses der Antisemiten. An ihre Wohnungstür wurde der Schriftzug »Vorsicht! Juden Freundin« geschmiert. In ihren Briefkasten schmissen die vermutlich rechtsextremen Täter einen Silvesterböller, der dort empfindlichen Schaden anrichtete. Trotz eingeleiteter Ermittlungen des Landeskriminalamtes wurden bislang für keine der Attacken Verantwortliche ausfindig gemacht. Einschüchtern lassen will sich die 62-Jährige aber nicht. »Ich möchte die Angst, die natürlich irgendwo da ist, nicht zulassen. Das wollen diese Neonazis ja gerade. Klein beigeben wäre die völlig falsche Reaktion.«

Dank der Arbeit der Stolperstein-Initiative konnten bereits 54 Gedenksteine in der Stierstraße sowie der angrenzenden Fregestraße im Schöneberger Ortsteil Friedenau verlegt werden. Im April kam noch eine Stolperschwelle hinzu, die an einen jüdischen Betraum erinnert, der sich bis zur Pogromnacht vom 9. November 1938 in der Stierstraße befand. Am 10. September sollen hier zwei weitere der kleinen Messingplatten von dem Erfinder des Projektes, dem Kölner Künstler Gunter Demnig, verlegt werden.

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