Ungeschminkt

Róbert Alföldi wurde als Intendant des ungarischen Nationaltheaters abgelöst

  • Lesedauer: 2 Min.

In den 20 Jahren, in denen Róbert Alföldi selbst regelmäßig als Schauspieler auf die Bühne trat, passte die Luzifer-Rolle im ungarischen Faust-Drama »Tragödie des Menschen« am besten zu ihm - obwohl seine Beziehung mit den Himmlischen gar nicht so stürmisch war wie die des Teufels im Opus von Imre Madách. Ganz im Gegenteil, betonte der bisherige Intendant des ungarischen Nationaltheaters auf der Pressekonferenz, die er am letzten Tag seines Mandats einberufen hatte: Gott habe ihn davor bewahrt, seine Seele den heutzutage regierenden politischen Kräften zu verkaufen.

2008 übernahm der heute 46-jährige Regisseur die Leitung des Theaters. Als wichtigste Aufgabe der Einrichtung betrachtete er die ehrliche und ungeschminkte Reflexion der Gegenwart. Dementsprechend hat Alföldi die Klassiker der ungarischen und der internationalen Literatur in einen neuen Kontext übertragen. Seine Stücke kennen weder schüchternen Anstand, noch verlogene Moralität, wenn es darum geht, das Publikum mit brennenden Fragen zu »universalen Werten« zu konfrontieren. Daher sind sie nicht nur außerordentlich spektakulär, sondern auch provokativ. Die Zuschauer schreckten indessen vor der nackten Vermittlungsweise nicht zurück: Die Besucheranzahl lag beständig über 90 Prozent.

Die jetzige ungarische Kulturpolitik interessiert sich aber weder für ehrliche Problemstellungen noch für Zuschauerrekorde. Wie Imre Kerényi, der Beauftragte des Ministerpräsidenten Viktor Orbán, kürzlich äußerte, werde es im neuen Nationaltheater »nicht mehr um Schwule gehen, sondern um Liebe, Freundschaft und Treue«. Es ist zu erwarten, dass der gestern installierte neue Intendant Attila Vidnyánszky diesen Maßgaben entsprechen wird. Er hat nämlich vor, »Sakralität und Tugend« thematisch in den Vordergrund zu rücken. Keine einzige Vorführung seines Vorgängers wird er beibehalten. Die ihm nahestehende Jury zog die Bewerbung von Herrn Vidnyánszky derjenigen von Alföldi ganz gewiss nicht in der Hoffnung vor, die neue Leitung könne das Publikum zum Nachdenken bewegen.

Hanna Ongjerth

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