»An den Geruch gewöhnt man sich nie«

Etwas anders als im Fernsehen: Ein Tag im Berufsleben eines Hamburger Tatortreinigers

  • Vanessa Steinmetz, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Neugierige Nachbarn am Leichenfundort, geschwätzige Angehörige neben blutverschmierten Wänden: Als TV-Tatortreiniger Schotty gerät Bjarne Mädel in skurrilen Situationen. Für Dirk Plähn in Hamburg ist das Tatortreinigen tägliche Arbeit - und oft gerade nicht so wie bei Schotty.

Hamburg. Der Schlüssel dreht sich im Schloss, ein süßlicher Geruch breitet sich aus. Auf dem Boden hinter der Tür ziehen sich dunkle Flecken vom Wohnzimmer bis in die enge Küche. Zwei Tage lang lag hier ein toter Mensch, er ist eines natürlichen Todes gestorben. Viel mehr weiß Dirk Plähn nicht über den Mann, dessen Wohnung er gerade betreten hat. Das will er auch gar nicht. Womit Schauspieler Bjarne Mädel in der ARD-Serie »Der Tatortreiniger« viele Zuschauer unterhält, das ist für Plähn tägliche Arbeit.

Plähn lernte Schotty an

Plähn streift sich einen weißen Anzug über, der ein wenig einem Maleranzug aus dem Baumarkt gleicht. Über seine Hände zieht er zwei Paar Handschuhe, ein Paar schnittfeste, ein zweites soll ihn gegen Krankheitserreger schützen. Dann schnallt er sich noch eine blaue Gasmaske um den Kopf. Darunter muss er durch einen Filter atmen, was sehr mühselig ist. An diesem Tag ist es mehr als 30 Grad heiß, der Schweiß rinnt dem 45-Jährigen über die Stirn.

Im weißen Anzug und mit Maske macht sich auch Schauspieler Mädel ans Werk, wenn er in die Rolle von Heiko Schotte alias Schotty schlüpft. In der mit zwei Grimme-Preisen prämierten TV-Serie bleibt Schotty jedoch selten alleine am Tatort; Nachbarn, Angehörige und Bekannte der Toten kommen vorbei, aberwitzige oder tragisch-komische Dialoge spitzen sich zu kammerspielartigen Szenen zu. Manchmal setzt er sich auch einfach auf die Couch und packt sein Wurstbrot aus. Zur eigentlichen Arbeit kommt Schotty fast nie.

Plähns Alltag sieht anders aus - wenn auch nicht ganz anders. In der Anfangszeit aß er vor Einsätzen an Leichenfundorten nichts, auch währenddessen blieb der Magen leer. Irgendwann härte man aber ab, erzählt er. Jetzt kommt es schon vor, dass er zwischendurch an die frische Luft geht und einen Schokoriegel oder ein Brötchen isst. »Wir laufen auch nicht die ganze Zeit in Trauer herum und machen auch mal Scherze.« Ein Radio ist meistens mit dabei, auch um sich abzulenken. »Nur an den Geruch, an den gewöhnt man sich nie«, sagt er.

Vor mehr als drei Jahren hat Plähn die »Tatortreinigung-Nord« gegründet, er ist einer von etwa zehn Tatortreinigern in Deutschland. Wobei es die Berufsbezeichnung Tatortreiniger offiziell nicht gibt. Plähn ist staatlich geprüfter Desinfektor. Zusammen mit seinen Mitarbeitern reinigt er Wohnungen nach dem Tod von Menschen, desinfiziert und entrümpelt sie. Ein Desinfektor ist für ihn mehr als eine Putzkraft.

Insgesamt sieht Plähn wenige Parallelen zwischen sich und dem NDR-Tatortreiniger, wenngleich er die Macher der Serie quasi angelernt hat. Mit Regisseur Arne Feldhusen hat er sich im Vorfeld der Reihe zusammengesetzt und ihm Bilder von Tatorten gezeigt.

Fotos auf der Autobahn

Den Erfolg des NDR-»Tatortreinigers« kann auch Plähn spüren. Kaum hat er den weißen Kleinbus mit der Werbung an den Türen abgestellt, hält schon ein Fahrradfahrer an. »Was habt ihr denn heute zu reinigen?«, fragt er. »Ne Wohnung, nur›n bisschen‹«, antwortet Plähn knapp. Das gehe die Leute schließlich nichts an. Witziger findet er da schon, dass der Transporter auf der Autobahn regelmäßig von Vorbeifahrenden fotografiert wird. »Viele denken, wir gehören zur Sendung dazu«, sagt Plähn amüsiert. Die Serie ist für ihn »mehr oder weniger Klamauk« - trotzdem hat er jede Folge gesehen, viele sogar mehrfach. Dass Angehörige oder Nachbarn während der Arbeit einfach dazukommen, passiert dem echten Tatortreiniger aber fast nie. Im Gegenteil: Er versucht den Menschen die Bilder zu ersparen, nimmt ihnen in einer schweren Zeit die unangenehme Arbeit ab. Viele zeigen Dankbarkeit dafür, wie auch auf seiner Internetseite nachzulesen ist.

Auf äußerst intime Dinge stößt Plähn manchmal. So findet er an diesem Tag in der Wohnung des Mannes Dutzende High Heels und Overknee-Stiefel. Dazu Damenwäsche, Röcke, Fotos. »Das sind eben die ganz privaten Bereiche, in die wir hier hereinkommen«, sagt Plähn. Alles wandert in Plastiktüten und dann in einen großen Müllcontainer, die dunklen Flecken werden mit Chemikalien bearbeitet, kurz darauf ist nichts mehr von ihnen zu sehen. Irgendwann ist die Wohnung leer und frei von Gerüchen - dann zieht Plähn die Tür wieder zu.

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