»Richterlicher nationaler Widerstand«

Anwälte kritisieren Gebaren des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Geheimdienst hat mich nachts abgeholt und beschuldigt, für die Islamisten zu arbeiten. Sie wollten Geld von mir und haben mir gedroht, das nächste Mal verschwinde ich ohne jede Nachricht. Ich hatte Angst.« Diese Geschichte von Verfolgung und Angst erzählt ein junger Tschetschene einem Journalisten der Sendung »Report Mainz«, die am 2. Juli ausgestrahlt wurde. Ein Landsmann von ihm hat ebenfalls eine traurige Vita. »Mein Cousin wurde umgebracht. Mich haben sie auch nachts abgeholt und haben mir gesagt: Wenn wir dich das nächste Mal holen, dann kehrst du nicht mehr zurück«, berichtet er. Die beiden jungen Männer konnten aus Tschetschenien fliehen und so ihr Leben retten, aber frei sind sie nicht. Sie sind im Abschiebegefängnis inhaftiert und sollten nach Polen zurück geschickt werden.

Doch zuvor müssen Flüchtlinge wie sie oft noch eine Haftstrafe wegen illegaler Einreise absitzen. Anwälte beklagten im Gespräch mit Report Mainz, dass am Amtsgericht Eisenhüttenstadt Schnellverfahren stattfinden, die oft nicht einmal 15 Minuten dauern. Die zu Geld- oder Haftstrafen verurteilten Menschen hätten oft keinen Verteidiger an ihrer Seite und verstünden nicht, was vor sich geht.

Der Berliner Rechtsanwalt Volker Gerloff, der seit Jahren Flüchtlinge juristisch vertritt, übt heftige Kritik an der Prozessführung der in Eisenhüttenstadt tätigen Amtsrichterin Rosemarie P. Das Urteil stehe im Prinzip vorher schon fest, moniert der Jurist. Die Richterin habe gegen mehrere Flüchtlinge Freiheitsstrafen wegen illegaler Einreise verhängt und unter anderem damit begründet, dass der Zunahme des »Heeres der Illegalen« in Deutschland begegnet werden müsse. Schließlich kämen die Flüchtlinge nach Deutschland, »um Straftaten zu begehen«, was dann dazu führe, dass in Deutschland Spannungen entstünden, die sich »durch weitere Straftaten entladen« würden. Flüchtlinge seien von ihr auch schon als »Asyltouristen« bezeichnet worden, so Gerloff.

In der Berufungsschrift gegen eine wegen illegalen Grenzübertritts verhängte Freiheitsstrafe fand Gerloff deutliche Worte. »Das angegriffene Urteil fühlt sich hier berufen, in einer Art ›richterlichem nationalen Widerstand‹ den erkannten vermeintlichen Missständen auf dem Gebiet der Migrationspolitik ›dringend‹ durch die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe begegnen zu müssen«, schrieb er. Daraufhin stellte der ehemalige Präsident des Landgerichts Frankfurt (Oder) Dirk Ehlert gegen den Rechtsanwalt einen Strafantrag wegen Beleidigung.

Es sei äußert selten, dass gegen Rechtsanwälte wegen ihrer in Prozessakten niedergelegten Aussagen mit juristischen Mitteln vorgegangen wird, erklärte Gerloff dem »nd«. In der Regel vermeide er das Wort rassistisch, wenn es um Kritik an Urteilen geht. »Aber wenn nun mal mit rassistischen Argumenten vorgegangen wird, dann sollte man das aus meiner Sicht auch klar beim Namen nennen«, verteidigt Gerloff seine Äußerung.

Der Völkerrechtler Andreas Fischer Lescano gibt ihm Recht und stufte die Äußerungen der Richterin als strafrechtlich relevant ein. Der Verein Demokratischer Juristen (VDDJ), der Republikanische Anwaltsverein (RAV) und die AG Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwälteverein (DAV) haben sich in einer gemeinsamen Presseerklärung mit Gerloff solidarisiert. »In einem demokratischen Rechtsstaat müsse die Justiz Kritik ernst nehmen und Missstände in den eigenen Reihen aufarbeiten, anstatt gegen die Kritiker vorzugehen«, heißt es dort.

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