Das verwünschte Geschenk

Vom wirklichen Jesus - arm, verfolgt, missverstanden - wollte, will man nicht viel wissen

  • Peter Richter
  • Lesedauer: 5 Min.
Gott war nicht auf der Höhe seiner Zeit. In den Jahrzehnten vor der Zeitenwende boomte im römisch besetzten Palästina die Wirtschaft. Herodes ließ Festungen wie Masada und Caesarea bauen; der Tempel in Jerusalem wurde neu errichtet. Auch die Bürger profitierten vom Aufschwung: Die Urgroßeltern des kleinen Jesus besaßen nahe des Sees Genezareth ein städtisches Haus, ein Landgut und mehrere Grundstücke. Seine Mutter Maria musste keinen Hunger leiden; reich bestickt waren die Teppiche, Windeln und Tücher, die sie mit zahlreichen Bediensteten in Vorbereitung auf die Geburt fertigte. Joseph, gelernter Zimmermann, besaß eine eigene Werkstatt; das Paar wohnte ohne Not im eigenen Haus in Nazareth. Eine Erfolgsgeschichte, wie geschaffen zur Propagierung des Aufschwungs aus eigener Kraft. Nur aus einer solchen Familie konnte, würde der Erlöser kommen, der jenen den Weg weist, die verzagt sind und allzu sehr zögern, sich um sich selbst zu kümmern. Was aber tat Gott? Er schränkte die Freiheit unserer leistungsbereiten Musterfamilie ein, warf ihr faktisch Knüppel zwischen die Beine. Ziehet nach Bethlehem, verlangte der Herr. Dorthin, wo die Römer in Josephs früherem Haus eine Behörde eingerichtet hatten, so dass der kein Obdach fand und nach langer Suche mit seiner hochschwangeren Frau in einer Höhle hinter zugigem Stall kampieren musste. Nehmt keine prächtig bestickten Decken mit, sondern nur weniges und ärmliches Gerät, befahl Gott weiter. Und lediglich zwei Esel zum Transport. Und so brachte Maria nach beschwerlichem Wege Jesus zur Welt, »wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge«, wie Lukas berichtete. Bald darauf mussten die drei fliehen, denn Herodes erklärte den Säugling zur Gefahr für die römische Herrschaft und löschte, als er seiner nicht habhaft werden konnte, das Leben aller Neugeborenen in Bethlehem und Umgebung aus. Mit einer solchen Heilandsgeburt weiß seither weder die Amtskirche noch gar die weltliche Macht viel anzufangen. Selbst Maria, so deutete es Bertolt Brecht, wollte den winterlichen Albtraum schnell hinter sich lassen: »Die Nacht ihrer ersten Geburt/ War kalt gewesen. In späteren Jahren aber/ Vergaß sie gänzlich/ Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen/ Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu./ Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham/ Nicht allein zu sein/ Die den Armen eigen ist.« Über der Grotte von Bethlehem, wo das Wunder geschehen sein soll, musste eine Kirche gebaut werden - und später eine neue, größere. Mit einem prunkvollen Altar dort, wo vielleicht einst der Stall war. Die Hirten wurden schnell zu Statisten; drei heilige Könige mit ihren Gaben aus dem Morgenlande boten viel bessere Möglichkeiten, das düstere Winterbild zu erhellen, die karge Landschaft erblühen zu lassen. Die Dichterin Marie Luise Kaschnitz brachte auf den Punkt, was heute von der Weihnachtsbotschaft besonders gern verkündet wird: »Drei Automobile/ Ein Mercedes, ein Bentley, eine Isetta hielt an./ Drei Herren stiegen aus, drei Frauen, schöner als Engel,/ Fragten, wo sind wir, spielten mit den Lämmern./ Spenden Sie etwas, sagten die Feldhüter. Da gaben sie ihnen/ Ein Parfüm von Dior, einen Pelz, einen Scheck auf die Bank von England ...« So füllen schreiende Angebote glitzernde Warenhausfassaden, lassen die biblische Elendsszenerie verschwinden - hinter einem »Feuerwerk festlichen Outfits«, wie es die Modeshops offerieren. Supermärkte preisen Schmackhaftes an, und der Weihnachtsmann im neuen Berliner Konsumtempel Eastgate sichtet die Wunschzettel der Kinder: »Der Tom möchte ein Fahrrad, die Jeanette eine Gitarre, Harry ein Buch.« Da verwundert es fast, dass immer noch zwei von fünf Kindern wissen, dass Weihnachten mehr ist als die Ankunft eines rotkapuzigen Rauschebarts mit einem prall gefüllten Geschenkesack. Und doch ist das wirkliche, das armselige Himmelsgeschenk nicht vergessen zu machen. Diesem Vergessen steht die harte Realität nicht weniger Menschen entgegen. So drang sie 1894 gar in eins der populärsten Weihnachtslieder ein: »Stille Nacht, traurige Nacht,/ rings umher Lichterpracht!/ In der Hütte nur Elend und Not,/ kalt und öde, kein Licht und kein Brot,/ schläft die Armut auf Stroh.« Jahrzehnte danach dichtete Erich Kästner ein anderes bekanntes Weihnachtslied sarkastisch um: »Morgen, Kinder, wird's nichts geben!/ Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!/ Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!/ Gott ist nicht allein dran schuld./ Gottes Güte reicht so weit ... Ach, du liebe Weihnachtszeit!« Und selbst als Armut später weniger drastisch und sichtbar war, blieb doch der Drang, hinter der »frohen Botschaft« die eigene deprimierende Lage nicht verschwinden zu lassen - und sei es durch Spott: »Stille Nacht, heilige Nacht./ Weihnachtsgeld wird gebracht/ durch Herrn Ruprecht vom Lo-hohnbüro./ Schweigend geht die Belegschaft aufs Klo,/ zählend die Krümel vom Herrn.« Manche wollten aber auch mehr. Sie nahmen die Heilsverheißung ganz wörtlich und als Handlungsanleitung, machten die Weihnachtsweise so trotzig wie martialisch zum Kampflied: »Stille Nacht, traurige Nacht,/ Arbeitsvolk, aufgewacht!/ Kämpfe mutig mit heiliger Pflicht,/ bis die Weihnacht der Menschheit anbricht,/ bis die Freiheit ist da.« Man mag lächeln über solche Utopie, über den Glauben an erkämpfbare Gerechtigkeit. Aber jene, die einst so dachten, wie die, die auch jetzt die Hoffnung auf »die Erlösung von dem Übel« - ob mit oder ohne Christuskind - nicht aufgeben wollen, sie sind allemal näher am Geschehen in der Krippe von Bethlehem als die Weihnachts-Wunderwelten rings um uns. Noch einmal Erich Kästner: »Morgen, Kinder, wird's nichts geben!/ Nur wer hat, kriegt noch geschenkt./ Mutter schenkte euch das Leben./ Das genügt, wenn man's bedenkt./ Einmal kommt auch eure Zeit. Morgen ist's noch nicht soweit.«
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