»Hinter dem Ruhm« - Gespräche von Jörn Jacob Rohwer
Hans-Dieter Schütt
Lesedauer: 4 Min.
Interviews, wie sie Jörn Jacob Rohwer für dieses Buch führte, mussten die Neugier wohl hinter sich haben. Überhaupt sind die besten Gespräche jene, die nichts wissen, sondern etwas erfahren wollen. Einfache Ausfrager sind zu langweilig, Auf-den Zahn-Fühler sind zu kokett mit sich selbst. Aufregend wird es erst dann, wenn ein Interview, in gewisser Weise, ganz Frag-Losigkeit ist. Wenn der Interviewer (Vorarbeit! Vorarbeit!) sich frei im Leben des Interviewten bewegt, dessen Überraschung spüren, dessen Auftauen erleben darf.
Rohwer sprach mit Susan Sontag und Werner Herzog, mit Inge Feltrinelli und Doris Lessing, mit Tomi Ungerer und Krzysztof Penederecki, mit Arthur Miller und Paloma Picasso, insgesamt mit zwanzig Künstlern, und bemerkenswert ist eine Arbeit am Text, die nicht nur 0-Töne aneinanderreiht, sondern auf der Grundlage von Unterhaltungen sorgfältigste Formfindung betreibt. Der Ehrgeiz Rohwens ist Dialog; er ist somit Dramatiker und Dramaturg zugleich, und eine Wahrheit wird offenbar, an der sich ein Porträt-Interview prüfen lassen muss: Geschriebene Interviews haben gefälligst ein Kunstprodukt zu sein.
Schreiben heißt: sich verbergen. ist es dies, was einen Publizisten wie Rohwer (gefördet von Marion Gräfin Dönhoff) so tief ins Interview verstrickte? In die Chance, sich selbst zu meinen, aber nur indirekt?
Interviews sind ja, genau genommen, eine Verlustanzeige. Was der Mensch sagt, steht in natürlichem Widerspruch zu dem, was er tut. Dieser Widerspruch wird, vor allem da, wo sich lutherische Prinzipien tief ins zivilisatorische Verständnis eingegraben haben, ausdauernd bekämpft, heftigst verleugnet und geradezu unbarmherzig für lösbar gehalten. Aber er ist nicht lösbar; das Wort hat gegenüber der Tat ein Eigenleben. Was wir sagen, ist eine Welt. Rohwer legte zwanzig Welten frei. Ein Spiel, aber eines ganz aus der Wahrhaftigkeit fibrierender Gesprächssituationen.
Unsere Sprache, wo sie eine öffentliche Funktion wahrnimmt, signalisiert mehr oder minder den nicht zu tilgenden Abstand zwischen uns selbst und dem Bild, das uns aussagt. Davon erzählt jedes landläufige Interview: Im Augenblick einer an ihn gestellten Frage folgt der Mensch meist einem unausgesprochenen Rechtfertigungs- und Legitimierungsdruck und tut antwortend so, als sei er ausgefüllt von einer einzigen gültigen Ansicht. Aber schon dieses Ausgefülltsein ist eine Unwahrheit. Denn es lässt weg, was einer jeweiligen Meinung im Moment des Erfragtwerdens als nicht zuträglich erscheint. Im Interview wird meist nicht Gebrauch gemacht von allen Zweifeln und Einwänden, in die man als Befragter hineinkäme, würde man weiterdenken statt antworten. So konditioniert man sich zwischen Verbergungs- und Entblößungssprache für die Gesprächssituation; aber die Chance, in dieser Situation des sich Aussprechenden wirklich gänzlich und unverwechselbar enthalten zu sein, sie ist aller Erfahrung nach gering. Auskunft, die man gibt, tendiert dazu, allgemein zu sein.
Die Gespräche Rohwers wissen ums beschriebene Manko. Aber sie wollen ja keine Meinung, sie wollen eine Situation - als öffne sich der Porträtierte nicht einem Fremden, sondern sich selbst. Ja, das freimütige Selbstgespräch als Traumziel des Interviewers; und der säße nur da und schwiege. Eine sehr surreale Vorstellung. Ganz nah bei Kunst, die ja Perspektiven nicht nachzeichnet, sondern verrückt.
Es hat auf diesem Raum wenig Sinn, einzelnen Interviews nachzugehen, Aussagen nachzuprotokollieren. Es sind zwanzig Kurzgeschichten, sprachlich präzis gebaut, kein Wort ist da zufällig gesetzt; da haben wir besagten Abstand Rohwers zum landläufigen professionellen Interview, das vom Band sofort ins Blatt gelangt. Inmitten ihrer Präzision und ziselierten Stilistik sind diese Porträts glänzende Feiern des Vorläufigen, Zwischenzeitlichen, Fragmentarischen. Vor allem sind sie ein Verweis darauf, dass es neben der Welt des Faktischen eine Welt der - wie immer im einzelnmen zu bewertenden - Vorstellungen gibt, mit denen Menschen sich erhöhen oder relativieren.
Der skizzierte Widerspruch zwischen der Authentizität alles Gesagten und einem authentischen Ich ist dem Interviewer Jörn Jacob Rohwer bewusst. Es konnte ihm daher nicht darum gehen, diese Spannung zu umgehen, sondern nur darum, in einer Weise mit ihr umzugehen, die seiner eigenen Denkungsart und seinem eigenen Lebenszuschnitt entsprach. Originell will keines der Gespräche sein, und schon gar nicht will die Frage um Aufmerksamkeit buhlen. Das Buch verströmt, obwohl es sich ausnahmslos um Prominente handelt, eine angenehme Alltäglichkeit der Erschütterungen, Unsicherheiten, Existenzplagen. Zwischen stillen unerfüllten Lieben und extrovertierten Ausbrüchen.
Der Autor kennt die Abstufungen zwischen dem Extrem einer schmeichelnden Interviewführung und dem anderen Extrem einer Decouvrierung des Gesprächspartners, mit deutlicher Absicht des Fragers, eine intellektuelle Selbstfeier abzuhalten. Rohwer freilich pegeln sich nie schlechthin in der lauen, ausgewogenen Mitte zwischen den beiden Polen ein. Er erlag schon gar nicht den Bequemlichkeiten einer Technik, die man heute Statement nennt. Ein Buch, das ein journalistisches Genre.in die Literatur holt.
Jörn Jacob Rohwer: Hinter dem Ruhm. Gespräche. Steidl Verlag Göttingen. Geb., 320 S., 20,50 EUR
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