Bradley Manning in 20 von 22 Anklagepunkten schuldig

25-jährigen Wikileaks-Informanten droht Höchststrafe von über 100 Jahren / Assange: »Er ist ein Held« / Reporter ohne Grenzen: »gefährlicher Präzedenzfall«

  • Lesedauer: 5 Min.

Fort Meade (nd-Böhnel/Agenturen/nd). Der 25-jährige Whistleblower Bradley Manning muss für viele Jahre ins Gefängnis. Das entsprechende Urteil fällte am frühen Dienstagnachmittag (Ortszeit) in der Militärstadt Fort Meade im Bundesstaat Maryland die Militärrichterin Denise Lind. Das genaue Strafmaß wird der junge Obergefreite, der im Jahr 2010 unter anderem Dokumente von Kriegsverbrechen der USA-Armee im Irak an die Enthüllerwebseite Wikileaks geschickt hatte, spätestens Ende August erfahren. Die Verhandlungen über die Haftlänge sollten schon am Mittwochmorgen (Ortszeit) beginnen.

In ihrem Urteilsspruch, zu dem Hunderte von Medienvertretern angereist waren, wies Lind den schlimmsten Anklagepunkt Artikel 104 der Militärgesetzgebung zurück. Darin geht es um »Feindunterstützung«. Sie kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Dennoch wurde Bradley Manning in fünf Punkten der Spionage und einer Reihe anderer Vergehen für schuldig befunden. Zusammengenommen könnte er damit eine Maximalstrafe von 136 Jahren erhalten.

Die Verteidigung, von der keine unmittelbaren Reaktionen auf das Urteil bekannt wurden, hat nach der Verhängnung des Strafmaßes das Recht, das Urteil vor ein militärisches Berufungsgericht zu bringen.

Das Urteil ist empörend, weil es einen jungen Soldaten, der eindeutig aus Gewissensgründen gehandelt hat, jahrelang hinter Gitter verbannen wird - während die Mörder in Uniform, deren Stimmen in dem berüchtigten Video »Collateral Murder« zu hören sind, bis heute unbehelligt von der USA-Justiz frei und vermutlich weiterhin bewaffnet herumlaufen. Das Urteil zielt darüberhinaus ohne Zweifel auch auf eine abschreckende Wirkung auf weitere Whistleblower. Da »Feindunterstützung« verworfen wurde, besteht aber Hoffung, dass die von der Obama-Regierung kriminalisierte Whistleblower-Kultur doch nicht am Ende ist. Dem bisherigen Selbstverständnis der USA nach ist Whistleblowing ein wesentlicher Pfeiler seiner Demokratie.

Manning hatte zwar gestanden, als im Irak stationierter Soldat 2010 Hunderttausende geheime Dokumente aus Armeedatenbanken an Wikileaks weitergereicht zu haben. Er habe dabei aber keine bösen Absichten gehabt. Weitere Dokumente zeigten, dass 150 Häftlinge grundlos in dem US-Gefangenenlager Guantanamo festgehalten wurden. Außerdem übermittelte Manning Wikileaks mehr als 250.000 vertrauliche diplomatische Depeschen.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist Manning dennoch ein Verräter, der den USA durch seine Enthüllungen Schaden zufügen wollte. Er habe auch um den Wert der an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergereichten Dokumente gewusst, heißt es. Zudem soll Manning aus Eigennutz gehandelt haben, um die Gunst von Wikileaks und dessen Chef Julian Assange zu gewinnen, hatte Staatsanwalt Ashden Fein in seinem Schlussplädoyer argumentiert.

Verteidiger David Coombs porträtierte den Angeklagten dagegen als Idealisten, der die Öffentlichkeit über den Krieg und Kriegsgräuel informieren wollte, um Menschenleben zu retten. Die Verteidiger hatten im Militärprozess immer wieder versucht, das drohende Strafmaß für den Obergefreiten zu verringern. Dieser hatte sich in den minder schweren Anklagepunkten für schuldig bekannt und damit bereits in Kauf genommen, dass er bei einer Verurteilung hinter Gitter kommt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten vergangene Woche stundenlange Schlussplädoyers gehalten.

Wikileaks verurteilte am Dienstag den Schuldspruch von Manning. Dies zeige den »gefährlichen, nationalen Sicherheitsextremismus der Regierung« von Präsident Barack Obama, schrieb die Organisation auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Der Außenpolitiker der Linkspartei, Stefan Liebich, sagte »Manning nicht des Hochverrats schuldig zu sprechen, ist eine Ermutigung für all jene Menschen, die vor allem ihrem Gewissen folgen und nicht blinden Gehorsam üben, die Wahrheit über Kriegsverbrechen zu sagen ist nach diesem Urteil kein Verbrechen«. Manning sei »ein mutiger Mann, der in erster Linie dem Ruf seines Gewissens folgte. Deshalb ist es auch nicht zu akzeptieren, dass er nun sein Leben hinter Gittern verbringen soll. Ich unterstütze ausdrücklich die Nominierung Bradley Mannings für den Friedensnobelpreis«.

»Der Schuldspruch gegen den Whistleblower Bradley Manning widerspricht jeglichem demokratischen Verständnis. Bereits die Inhaftierung mit Erniedrigung und Folterung des ehemaligen US-Soldaten ist ein massiver Verstoß gegen die UN-Menschenrechtskonvention«, erklärte Karin Binder, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen zeigte sich » bestürzt über das Urteil «. Manning sei »der Prototyp eines Informanten, der unter großen persönlichen Risiken politische Missstände öffentlich gemacht hat«, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Die durch ihn ermöglichten Enthüllungen hätten eine breite Debatte in den USA und darüber hinaus über die Irak- und Afghanistanpolitik der USA sowie über Exzesse von Militär und Justiz angestoßen. Deshalb schaffe das Urteil gegen ihn einen gefährlichen Präzedenzfall.

»Mutige Menschen wie er und Edward Snowden sind unverzichtbar, damit Journalisten Fehlentwicklungen publik machen können. Solche Informanten verdienen einen starken gesetzlichen Schutz und keine drakonischen Strafen.« Seit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama habe die Verfolgung von Journalisten und »Whistleblowern« in den USA nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen besorgniserregende Ausmaße angenommen

Wikileaks-Chef Assange sagte dem TV-Sender CNN in einem Interview: »Bradley Manning ist ein Held.« Sein Handeln habe niemanden geschadet. Der Prozess sei Teil »des Krieges gegen investigativen Journalismus«, den die USA führe. Das Verfahren ist der erste große Prozess gegen einen sogenannten Whistleblower in den USA und könnte als Präzedenzfall für weitere bekannte Enthüller dienen - etwa für Assange und den Geheimdienst-Spezialisten Edward Snowden. Beide werden von den USA als Geheimnisverräter gesucht, beiden soll der Prozess gemacht werden.

Auch für den investigativen Journalismus in den USA könnte der Richterspruch auf Fort Meade Folgen haben, vermuten Beobachter. Whistleblower und Informanten, die Journalisten bei der Recherche mit vertraulichem Material versorgen, könnten abgeschreckt werden.

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