Hellersdorf hetzt - und hilft

Im Streit um ein Flüchtlingsheim wird nicht nur das rechte Potenzial des Berliner Stadtteils deutlich

  • Malene Gürgen
  • Lesedauer: 6 Min.
Gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Hellersdorf macht eine Bürgerinitiative mit allen Mitteln mobil. So einseitig, wie die Initiative es darstellt, ist die Stimmung im Stadtteil aber nicht.
An der Hauswand haben sich früher Schüler verewigt, nun sollen Flüchtlinge in die ehemalige Schule einziehen. Einen Wachschutz gibt es jetzt schon.
An der Hauswand haben sich früher Schüler verewigt, nun sollen Flüchtlinge in die ehemalige Schule einziehen. Einen Wachschutz gibt es jetzt schon.

Es ist ruhig in Hellersdorf. Die Balkone an den Plattenbauten sind bunt gestrichen oder mit Holzgittern verkleidet, an denen sich Pflanzen hochranken sollen. Auf den Straßen sind kaum Menschen unterwegs, Mittagsstille. Trotzdem: Die Stimmung ist gerade alles andere als friedlich. Seit vor einigen Wochen bekannt wurde, dass hier eine Notunterkunft für Asylsuchende entsteht, kommt so einiges zum Vorschein in Hellersdorf, und zwar mit Wucht: Sorgen und Wut, Rassismus und Angst. Die einen machen gegen das Heim mobil, hetzen gegen die Befürworter und gegen die Flüchtlinge. Andere bieten ihre Hilfe an, zeigen sich solidarisch, schämen sich fast für den Hass in ihrem Kiez. Noch ist die Unterkunft nicht fertig, kürzlich wurde ein Baustopp verhängt, weil noch Gutachten fehlen. Lange soll es aber nicht mehr dauern, bis hier die ersten 60 von 200 Flüchtlingen einziehen.

»Fast überall, wo eine Flüchtlingsunterkunft aufmacht, gibt es Protest«, sagt der Michael Trube von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). »Aber in Hellersdorf haben es die Heimgegner geschafft, die Diskussion zu dominieren.« Eine Informationsveranstaltung des Bezirks wurde zum Desaster. NPD-Kader ergriffen das Wort, Brandenburger Neonazis gaben sich als besorgte Anwohner aus, echte Anwohner benutzten nicht weniger rassistische Argumente. »Die Dimensionen sind auch für uns überraschend«, sagt Trube. Andererseits: »In den Straßenzügen rund um das Heim kamen NPD und Pro Deutschland bei der letzten Wahl zusammen auf 15 Prozent.« Eine Hochburg der Rechten?

»Natürlich reden jetzt alle wieder von dem doofen, armen, rechten Bezirk«, sagt Christin Thiel. »Dabei wohnen hier doch auch normale, hilfsbereite Leute«, sagt die 21-Jährige. Sie ist selbst noch auf die Max-Reinhardt-Schule gegangen, in deren Gebäude nun die Flüchtlinge einziehen sollen, heute arbeitet sie in einem Jugendclub. Noch bevor der Bezirk die Bürgerversammlung einberief, wurden Thiel und ihre Freunde aktiv, schrieben einen offenen Brief an die Bezirkspolitiker, in dem sie ihre Solidarität mit den Flüchtlingen ausdrückten. »Wir wollen dem Alltagsrassismus und Rechtpopulismus in unserem Bezirk die Stirn bieten«, heißt es da.

»Am Anfang habe ich das Problem unterschätzt«, sagt Thiel. Sie kenne Hellersdorf ja ganz anders, ihr Freundeskreis sei weltoffen, auf der Arbeit machen sie Projekte gegen Rechts. Das Problem werde sich schnell erledigen, wenn die Anwohner mehr Informationen bekommen, dachte sie. »Dann habe ich gemerkt: Das wird was Größeres.« Jetzt engagiert sie sich weiter, mit Konsequenzen: Als sie zu einer Kundgebung gegen die NPD ein Plakat mitbrachte, wurde ihr mulmig: »Auf dem Weg haben mir Leute vor die Füße gespuckt und mich beschimpft«, sagt sie, es sei nicht leicht, damit fertig zu werden.

Seit drei Wochen hat das zukünftige Heim nun einen Wachschutz. Mike, der hier arbeitet, kommt aus Marzahn und ist entspannt. Er werde immer mal wieder von Anwohnern angesprochen, »mittlerweile kennen wir uns hier schon ganz gut«, sagt er. Die meisten würden aber helfen wollen, am liebsten sofort Spenden vorbeibringen. Klar, manchmal kommen auch welche und schreiben mit Kreide »Nein zum Heim« auf die Straße. »Solange sie das nicht am Gebäude machen, ist mir das egal«, sagt Mike, für die Straße ist er schließlich nicht zuständig.

Eine junge Frau mit Kinderwagen sagt es ganz offen: »Wenn das Heim kommt, ziehen wir weg.« Sie ist aufgeregt. »Ich hab doch dann Angst um den Kleinen«, sagt sie immer wieder. Als die Aufregung ein bisschen nachlässt, sagt sie, das mit dem Wegzug sei doch noch nicht sicher. »Wir gucken uns schon mal an, wie das so wird.«

Ihren Namen möchte sie ebenso wenig in der Zeitung lesen wie der ältere Herr, der direkt gegenüber vom künftigen Heim wohnt. Erst will er gar nicht reden, »dann heißt es wieder, wir seien hier alle Rechtsextreme«. Dann sagt er aber doch recht viel: Toll sei das zwar nicht mit dem Heim ausgerechnet hier bei ihnen vor der Tür, aber ändern könne man das doch auch nicht. Und für die Flüchtlinge sei das ja vielleicht auch ganz nett, mit dem vielen Grün. Plötzlich bricht es aus ihm heraus: Er mache sich Sorgen um seine Ruhe, aber nicht wegen der Flüchtlinge, sondern wegen der Rechten. »Die werden hier doch ständig ankommen und Krach gegen das Heim machen.«

Im Bezirk arbeiten sie gerade an Sicherheitskonzepten für das Heim, auch in antifaschistischen Kreisen gibt es Überlegungen, wie man die Bewohner schützen könnte. Ob etwas passiert, kann gerade niemand so richtig sagen. »Wichtig ist, dass die ankommenden Flüchtlinge vor Aktionen der Heimgegner geschützt werden«, sagt Michael Trube. »Das wäre natürlich ein Fiasko, wenn die teilweise Traumatisierten erst mal durch ein Spalier von Rechten laufen müssten.« Sicherheitsmann Mike glaubt hingegen nicht, dass etwas passieren wird: »Im Internet reden kann man viel, aber das heißt noch lange nicht, dass die Heimgegner hier echt auflaufen.«

Unklar ist auch, wer hinter der Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf steckt. Dass hier auch NPD-Leute mitmischen, gilt als gesichert, wie genau und in welchem Umfang, ist aber Spekulationssache. »In der Außendarstellung sind die recht geschickt, oft wird so getan, als wolle man doch auch den Flüchtlingen helfen«, sagt Trube. »Dann entlarven sie sich aber auch wieder mit rassistischen Argumenten.«

Es seien schon auch Anwohner gegen das Heim, mit denen man reden könne, die erreichbar seien, sagt Rafaela Kiene. Die 23-Jährige ist grüne Bezirkspolitikerin und sehr um eine Lösung bemüht. »Die Informationspolitik im Vorfeld war nicht gut, das muss man sagen«, so Kiene. Es sei aber auch schwer, die Leute zu erreichen, »eine Kiezkultur gibt es hier nicht, Platte ist anonym«, sagt sie. Sie hat selbst schmerzhafte Erfahrungen mit den Heimgegnern gemacht: Die Bürgerinitiative drohte, sie »öffentlich anzuprangern«, wenn sie nicht klarstelle, dass in der Initiative keine Nazis seien. Ihr E-Mail-Postfach wurde gehackt, über Facebook bekam sie Morddrohungen. »Ich habe zum Glück einen großen Unterstützerkreis«, sagt sie, auch ein paar Tage Urlaub hätten geholfen, wieder runterzukommen. In Hellersdorf wollte sie sich allerdings nicht treffen, »das muss jetzt gerade nicht sein«, sagt sie.

Von einer Pogromstimmung zu sprechen und Vergleiche mit Rostock 1992 zu ziehen, findet Kiene aber übertrieben. Es gebe auch viel Hilfsbereitschaft. Gerade gründet sich ein Netzwerk, um die Hilfe besser zu koordinieren, lokale Einrichtungen und Initiativen von der Alice-Salomon-Hochschule bis zur Antifa sind dabei. Und so manches werde sich auch erledigen, wenn die Flüchtlinge eingezogen sind. Das hofft auch Christin Thiel: »Das beste Mittel gegen Vorurteile ist nun mal die Realität.« Komplexer als das, was die Bürgerinitiative verbreiten will, ist diese in Hellersdorf allemal.

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