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»...wir sind die Herren der Welt«

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.
Deutsche Soldaten singen immer noch Nazi-Lieder. Das aktuelle »Liederbuch der Bundeswehr« enthält Werke führender NS-Ideologen. Die Herkunft der historisch belasteten Wort-Ton-Gebilde, die Wehrmacht und SS als Begleitmusik für ihre Eroberungskriege dienten, wird jedoch von der militärischen Führung verschwiegen oder verschleiert. Kritik wird zurückgewiesen.
Mit »Kameraden singt!«, so der Titel der vorerst letzten Auflage des Liederbuchs von 1991, wollte der erste Verteidigungsminister des wiedervereinigten Deutschlands Gerhard Stoltenberg nun endlich die musikalische Visitenkarte einer modernen demokratischen Armee vorlegen. Über die Instrumentalisierung der eigentümlichsten deutschen Kulturform für Kriegsverherrlichung und antisemitische Hetze, die Hitlers Propagandisten begangen hatten, zeigte sich das Verteidigungsministerium gut informiert. »In der Zeit des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs wurden Soldatenlieder missbraucht als Ausdruck nationalsozialistischer Überhöhung«, heißt es im Vorwort der Liedersammlung. »Alle Versuche, das Lied der Soldaten als Propagandamittel einzusetzen«, führten die »Aufklärer« von der Hardthöhe weiter aus, »scheiterten an den Soldaten selbst; sie sangen ihre eigenen Lieder, Lieder, die nicht in den Liederbüchern standen und nur zögernd Eingang fanden.« Der Musikwissenschaftler Eberhard Frommann widerspricht dieser euphemistischen Darstellung: »Die Liederbücher wurden fast ausschließlich von Soldaten und Offizieren aus Hitlers Wehrmacht herausgegeben und enthielten auch Lieder führender NS-Ideologen«. Die Behauptung, der deutsche Soldat habe eine autonome Musikkultur in Kontrast zur nationalsozialistischen Propaganda gepflegt, sei schlichtweg falsch. Der Autor der Studie »Die Lieder der NS- Zeit« kann zahlreiche Belege vorweisen. Das Verteidigungsministerium beschränkte sich nicht darauf, die Beteiligung von »Hitlers Kriegern« an den Propaganda-Feldzügen für Eroberungskämpfe und Völkermord zu leugnen. Man verhalf sogar wieder diversen NS-Lyrikern und -Komponisten zu nachträglichem Ruhm, indem man den Nachdruck einer Auswahl vorwiegend unverfänglicher Elaborate ihres umfangreichen Oeuvres in »Kameraden singt!« veranlasste. Dort findet man ebenso Lieder von Christian Lahusen, der schon 1931 antisemitische Kampfparolen in Versform goss (»Wir sind bereit, zu schneiden schlimme Saat«) wie von den Gaumusikreferenten August Kremser und Gottfried Wolters. Letzter schrieb Chorsätze für Nazi-Lieder wie Arno Parduns »Volk ans Gewehr« und trat als Bearbeiter des Liederbuchs der Hitlerjugend in Erscheinung. Wie Eberhard Fromman nachweist, enthält das Liederbuch der Bundeswehr aber auch Liedgut, das eindeutig als Träger der nationalsozialistischen Ideologie zu werten ist. Dies gilt für das U-Boot-Fahrerlied »Der mächtigste König im Luftrevier« aus dem Ersten Weltkrieg, das von den Nationalsozialisten vereinnahmt und in den Jahren nach der Machtübernahme umgedichtet wurde. 1933 lautete die zentrale Textzeile des Refrains noch: »Ja, wir sind die Fürsten der Welt«. Die Bundeswehr jedoch bevorzugte die Nazi-Version von 1939 und schon herrscht Einstimmigkeit zwischen den »arischen Rassekriegern« und den Staatsbürgern in Uniform: »Ja, wir sind die Herren der Welt.« In anderen Fällen wurden NS-Spuren verwischt, Quellenangaben gefälscht. So bemühte das Ministerium zur Ehrenrettung des »Panzer-Lieds« (»Ob's stürmt oder schneit«) verstaubte Nazi-Legenden: In Anlehnung an eine Anekdote aus »Köhlers illustriertem Heereskalender« von 1939 wird im Liederbuch der Bundeswehr behauptet, die Melodie des »Panzer-Lieds« sei aus dem »Luiska-Lied«, einer alten Matrosenweise entstanden. Der Musikwissenschaftler Frommann fertigte eine Analyse der musikalischen Parameter der beiden Kompositionen an. Das Ergebnis: »Nicht eine substanzielle Übereinstimmung.« Der Schulmusiker a. D. machte sich auf die Suche nach der wahren Ursprungsmelodie des »Panzer-Lieds« und fand sie im »SS-Liederbuch«, herausgegeben vom »Rasse- und Siedlungsamt«. Die Melodie entstammt dem antisemitischen Kampflied »Es stehet in Deutschland« (»Parole, sie bleibet: Die Juden hinaus!«). Ebenso geschichtsrevisionistisch verfuhr die Bundeswehr mit dem Text der Aggressoren-Hymne, von der mindestens zwei sich ähnelnde Versionen existieren. Unliebsame Strophen wurden einfach gestrichen. Kein Wunder, denn sie enthalten Zeilen wie »Was nützet unser Leben für unseres Reiches Wehr, fürs Hakenkreuz zu sterben ist unsere höchste Ehr«. Dass es sich bei dem »Panzer-Lied« um das ehemalige Stammlied des NS-Kraftfahrerkorps handelt, bleibt in »Kameraden singt!« unerwähnt. Die Bundeswehr begnügt sich nicht damit, falsche Fährten zu legen und Texte zu frisieren: Als Urheberin des NSDAP- Kampfliedes »Wir ziehen über die Straßen« wird eine Komponistin und Texterin namens Ute Kraffzig genannt, obwohl nicht der geringste Zweifel daran besteht, dass die Melodie von dem populären NS-Komponisten Robert Götz und der Text von dem Bildhauer Alfred Knott stammt. Das bestätigt der Voggenreiter-Verlag, der 1965 »alte und neue Lieder von Robert Götz« veröffentlichte, darunter »Wir ziehen über die Straßen«. Sogar im Liederbuch der Bundeswehr von 1976 wird noch erwähnt, dass es sich hier um einen »echten Götz« handelt, ergänzt Fred K. Prieberg, Autor der musikpolitischen Studien »Musik im NS-Staat« und »Musik und Macht«. Der Musikwissenschaftler kann nicht nachvollziehen, »weshalb der Rechtsinhaber Voggenreiter-Verlag nicht eingreift«. Der denkt gar nicht daran, denn delikaterweise ist »Kameraden singt!« in dem Bonner Verlag erschienen. Verlagsleiter Ernst Voggenreiter höchstpersönlich hat an der Zusammenstellung der Lieder mitgewirkt. Das Unternehmen, das während des Dritten Reiches auch Propagandamaterial der Reichsjugendführung publizierte, nimmt an demgefälschten Urhebernamen keinen Anstoß: Bei »Kameraden singt!« handele es sich schließlich »nicht um eine wissenschaftliche Recherche zum deutschen Liedgut«, erklärt eine Verlagssprecherin. Seit Jahren appelliert Frommann, eine konsequente Aufarbeitung der klangvollen Nazi-Relikte im Bundeswehr-Liederbuch vorzunehmen. Vergeblich. Eine kritische Überprüfung aller Lieder, die normalerweise alle zehn Jahre vorgenommen wird, ist überfällig. Scharpings Ministerium teilte mit: »Wann eine Überarbeitung stattfinden wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitgeteilt werden.«
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