Musiklehrer sind schwer frustriert

Mit den neuen Honorarverträgen sehen sich die Pädagogen vom Senat herabgesetzt

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 3 Min.

Kündigung oder zwangsweise annehmen: Diese »Wahl« hatten die Berliner Musikschullehrer zuletzt. Nach ihrem monatelangen Kampf gegen die neue Honorarkraftregelung an den Musikschulen sind am Freitag die letzten Fristen abgelaufen. Die meisten haben sich für die Unterschrift entschieden.

Auch Elisabeth Fischer. Arbeitslos: »Das heißt für Honorarkräfte direkt Sozialhilfe«, sagt die Musiklehrerin, für Friedrichshain-Kreuzberg in der Landeslehrervertretung (LBM). Deshalb weigerten sich nur wenige, weiter zu unterschreiben. Seit Schulbeginn gilt das alte Pauschalsystem nicht mehr. Viele befürchten finanzielle Ausfälle. »Ich muss jetzt jede Leistung einzeln beantragen und abrechnen«, klagt Fischer. Eine Unterrichtsstunde verschieben, Elterngespräche führen, Räume vorbereiten - alles wird zum Verwaltungsakt, die Auswirkung auf das Arbeitspensum ist massiv.

Tätigkeiten wie Stühlerücken oder Aufräumen werden künftig zwar bezahlt - allerdings zu einem Hilfsarbeiterentgelt von 7,50 Euro die Stunde. Unterrichtsmaterialien oder die Wartung der Instrumente bleiben unentlohnt. Auf Ausfallhonorare müsse man nun bis zu zwei Monate warten. Schon jetzt bleibt den Vollzeitbeschäftigten nach Abzug aller Kosten kaum mehr als der Hartz-IV-Regelsatz - inklusive der Konzerte, die sie außerhalb der Schule gibt. Fischer hat ein langjähriges Hochschulstudium absolviert, in Berlin Pflicht für den Posten. Das Honorar richtet sich aber nach den Sätzen für Fachhochschulabsolventen. »Die Stadt verlangt also etwas, wofür sie nicht bezahlt«, ärgert sie sich.

»Man kann sich nicht vorstellen, wie frustriert die Lehrer sind«, sagt ein Musikschulleiter, der unerkannt bleiben will. Mit dem Abschaffen des Pauschalsystems versuche der Senat einzusparen. Dabei könne es sogar noch teurer werden, weil nebenbei anfallende Tätigkeiten nun honorarpflichtig seien. »Deswegen haben aber die Schulen nicht mehr Geld.« Die Konsequenz: Arbeiten wie Raumvorbereitungen müssten unbezahlt erledigt werden - oder wegfallen.

Anlass für die Anpassung der Verträge durch den Senat war neben der deutlicheren Abgrenzung zur »Scheinselbstständigkeit« die Befürchtung, dass die Lehrer die Pauschale von 39 Stunden im Jahr nicht erreichten. »Das kränkt am meisten: Die Unterstellung, sie würden nicht leisten, wofür sie bezahlt werden«, sagt der Musikschulleiter. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verletze ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrkräften. »Nur ein Paar Kreuze mehr«, hatte die die Reform verharmlost. »Menschenverachtend« nennt der Leiter diese Haltung. Bisher lehnte der Senat Gespräche ab und verweise auf die Bezirke. »Das ist zynisch. Wir führen wir nur aus, was er vorgibt.« Auch der Leiter weiß nicht, wie er die Reform stemmen soll. Das werde ein »irrwitziger Verwaltungsaufwand«. »Ich möchte die Kosten-Nutzen-Rechnung sehen, bei der sich das für irgendwen lohnt.«

Es gibt noch ein weiteres Problem: »Die neue Abrechnungssoftware ist nicht einsatzfähig«, weiß Monika Stocksmeier von der LBM aus Gesprächen mit ihren Kollegen. Zudem seien die Mitarbeiterschulungen nicht abgeschlossen. Und eigentlich dürfen die Lehrer die Daten ihrer Schüler gar nicht sammeln, weil die Eltern noch nicht eingewilligt haben, hat jetzt der Berliner Datenschutzbeauftragte dem LBM auf Anfrage mitgeteilt. Wie der August in drei Wochen abgerechnet werden soll, ist also für alle ein Rätsel. Auch die Proteste gehen weiter: Am 31. August ist eine Demo geplant, die Lehrer und ihre Unterstützer bombardieren die Zuständigen weiter mit Briefen. Stocksmeier hat die Frist für die Neuverträge verstreichen lassen. Sie will erst unterschreiben, wenn wirklich alle Optionen ausgeschlossen sind.

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