Die Akte Mubarak wird wieder geöffnet

Ägyptens Ex-Präsident könnte bald freikommen / Massaker an Muslimbrüdern und an Polizisten

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.
Überraschende Entwicklung in Ägypten: Ein Gericht hat die Freilassung von Ex-Präsident Mubarak angeordnet; sein Anwalt rechnet damit, dass er noch diese Woche entlassen wird. Derweil ist die Lage im Land nach wie vor ernst. Auf der Halbinsel Sinai starben 25 Polizisten; bei einem Ausbruchversuch kamen 35 inhaftierte Muslimbrüder ums Leben.

Es ist kurz vor 14 Uhr, als die Ereignisse am Montag eine völlig neue Wendung nehmen: Standen sich in den vergangenen Wochen die Gegner und die Befürworter der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi unversöhnlich gegenüber, könnte bald ein drittes Lager hinzukommen - das der nach wie vor recht vielen Ägypter, die sich eine Rückkehr des Anfang 2011 abgesetzten Präsidenten Husni Mubarak an die Macht wünschen.

Denn der einstige starke Mann am Nil, der Ägypten fast 30 Jahre lang mit harter Hand regiert hat, könnte schon in den kommenden Tagen aus dem Gefängnis entlassen werden. Ein Gericht in Kairo ordnete am Montag seine Freilassung an. Die Entscheidung sei gefallen, nachdem die Kammer die Staatsanwaltschaft damit beauftragt hatte, das Korruptionsverfahren auf vier weitere Personen auszudehnen und eine neue Anklage zu erheben, so die Begründung. Sein Anwalt Farid al-Dib rechnet nun damit, dass so etwas auch im vergleichbaren Mubarak-Verfahren geschehen wird. Die Angelegenheit sei nur noch eine Formsache, die wohl innerhalb von 48 Stunden abgeschlossen sein wird, sagte er mehreren Nachrichtenagenturen.

Der Hintergrund: In Ägypten ist die Dauer der Untersuchungshaft auf zwei Jahre begrenzt. Ursprünglich hatte Mubarak wegen Mordes vor Gericht gestanden; später kamen Korruptionsanklagen hinzu, was die maximal mögliche Dauer verlängerte. Sind diese Verfahren hinfällig, selbst wenn nur vorübergehend, gilt auch die Verlängerung nicht mehr, denn die maximale Untersuchungshaft ist nun ausgeschöpft. Weshalb der Ex-Präsident auch wegen der Tötung von Demonstranten nicht in Haft gehalten werden kann. Dieses Verfahren war im Mai neu aufgerollt worden, nachdem ein erstes Urteil wegen Verfahrensfehlern aufgehoben worden war.

Viele Ägypter vermuten dennoch politische Motivationen hinter dieser Entwicklung. Vor allem in der Justiz, aber auch im Sicherheitsapparat gibt es nach wie vor viele, die sich eine Rückkehr Mubaraks an die Macht wünschen. Und auch in der Öffentlichkeit ist immer öfter zu hören, dass man es nicht für das Schlechteste halte, wenn der Ex wieder das Ruder übernähme. Immerhin hätten damals Ruhe und Ordnung geherrscht.

Doch bei sehr viel mehr Menschen hat die Entscheidung für Entsetzen gesorgt. Sie sei ein »Vergehen an der Revolution«, heißt es. Weshalb die Übergangsregierung nun befürchtet, dass sie damit in Verbindung gebracht wird und ihr die Unterstützung wegbricht. »Die Staatsanwaltschaft sucht nach Wegen, Mubarak im Gefängnis zu halten«, erklärte dazu ein Mitarbeiter von Übergangspräsident Adli Mansur, der selbst von Haus aus Verfassungsrichter ist.

Für Mansur und seine Regierung kommt die Entscheidung zu einer ausgesprochen problematischen Zeit. Am Wochenende hatten Bewaffnete versucht, inhaftierte Mitglieder der Muslimbruderschaft aus einem Gefangenentransport zu befreien. Nachdem ein Polizist getötet worden war, setzten die Sicherheitskräfte in den geschlossenen Transportern Tränengas ein; 35 Menschen erstickten. Verteidigungsminister und Generalstabschef Abdel Fattah al-Sisi sagte am Sonntag: »Unsere Zurückhaltung wird nicht andauern. Wir akzeptieren keine weiteren Angriffe mehr. Wir werden mit ganzer Kraft zurückschlagen.«

Gleichzeitig droht die Lage auf der Sinai-Halbinsel weiter außer Kontrolle zu geraten. In der Nähe von Rafah an der Grenze zum Gaza-Streifen wurde ein Truppentransport der Ordnungspolizei angegriffen; 24 Polizisten wurden erschossen. Eine Situation, die auch Israel in Zugzwang bringt: Bislang schweigt man offiziell zu den Ereignissen in Ägypten - auch, weil das Vorgehen der Sicherheitskräfte kritisiert wird. Hinter vorgehaltener Hand wird vor harscher Kritik am neuen Regime gewarnt: Aus geopolitischer Sicht brauche man Stabilität.

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