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Ein Kainsmal als Wahrzeichen

Auch wenn ihre Eröffnung ohne Proteste erfolgt, entzweit die Waldschlösschenbrücke weiter die Gemüter

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach sechs Jahren Bauzeit wird heute die Dresdner Waldschlösschenbrücke eröffnet. Ihretwegen büßte die Stadt den Welterbetitel ein. Die Bürger waren gespalten; versöhnt sind Gegner und Befürworter noch immer nicht.

Kurz vor der Eröffnung der Waldschlösschen in Dresden kam es zu einem rechnerischen Fauxpas. Eine Zeitung wollte verdeutlichen, wie viel graue Farbe zum Anstrich des Bauwerks nötig war. Würden die 18 Tonnen in handelsüblichen Büchsen aneinander gereiht, reiche die Kette mit 1800 Kilometern Länge bis nach Moskau. Tags darauf wurde ein Kommafehler eingeräumt: Es seien nur 1,8 Kilometer; Schluss sei bereits im Dresdner Stadtteil Blasewitz.

Vielleicht ist das Versehen eine passende Pointe zur Eröffnung der Brücke, die heute und morgen mit einem Bürgerfest gefeiert wird, bevor ab Montagfrüh die Autos rollen. Blasewitz oder Moskau, Provinz oder Weltstadt - zwischen diesen Extremen variieren in der Stadt die Urteile über die Brücke. Das gilt schon in ästhetischer Hinsicht: CDU-Rathauschefin Helma Orosz schwärmt von einem »neuen Wahrzeichen« der Stadt, während Grünen-Fraktionschef Thomas Löser sich an einen schnöden Autobahnzubringer erinnert fühlt. Als Ausdruck von provinziellem Kleingeist werten Kritiker aber vor allem, dass eine solche Brücke ausgerechnet an die breiteste Stelle des gerühmten Dresdener Elbtals geklotzt wurde, einer Landschaft, die 2004 von der Unesco mit dem Welterbetitel geadelt worden war. Im Juni 2009 wurde der Titel wegen des zwei Jahre zuvor begonnenen Brückenbaus wieder entzogen - ein beispielloser Vorgang. In der Hoffnung, ein paar lokale Verkehrsprobleme zu lösen, habe sich Dresden zum weltweiten »Negativbeispiel« machen lassen, klagt Sebastian Storz, Vorsitzender des »Forums für Baukultur«. Die Brücke, sagt er, sei nun ein »Kainsmal« für die Stadt.

17 Jahre und acht Tage. Eine Chronologie

15. August 1996: Der Stadtrat beschließt den Bau einer weiteren Elbbrücke in Dresden.

29. November 2000: Ein erster Spatenstich wird vollzogen.

2. Juli 2004: Das Dresdner Elbtal wird in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen

27. Februar 2005: Beim Bürgerentscheid stimmen 67,88 Prozent für den »Verkehrszug Waldschlösschenbrücke«.

11. Juli 2006: Das Unesco-Welterbekomitee setzt das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste gefährdeter Erbestätten.

August 2006: Der Stadtrat stimmt gegen den Baubeginn und für den Erhalt des Titels. Das Regierungspräsidium ordnet aber an, mit den Baumaßnahmen zu beginnen.

9. August 2007: Das Verwaltungsgericht Dresden stoppt den Baubeginn nach Eilantrag von Naturschutzverbänden.

14. November: Das Oberverwaltungsgericht hebt den Baustopp auf, verfügt aber Auflagen etwa zum besseren Schutz von Fledermausarten.

19. November: Baubeginn für die Waldschlösschenbrücke.

12. Dezember: Naturschützer besetzen eine über 200 Jahre alte Buche, die dem Bau eines Zufahrtstunnels weichen soll. Die Besetzung wird später geräumt, der Baum gefällt.

14. Januar 2008: Initiativen starten ein Bürgerbegehren für den Bau eines Elbtunnels statt der Brücke. Es unterschreiben rund 55 000 Bürger.

22. April: Der Stadtrat stimmt für den Bürgerentscheid pro Unesco-Welterbe und Tunnel statt des Brückenbaus.

12. Juni: Das Regierungspräsidium erklärt das Bürgerbegehren für rechtswidrig.

25. Juni 2009: Dem Dresdner Elbtal wird als erster Kulturstätte der begehrte Welterbetitel wieder entzogen.

18. Dezember: Das Mittelstück der Waldschlösschenbrücke wird montiert.

5. Mai 2011: Die Stahlkonstruktion ist komplett.

23./24. August 2013: Mit einem zweitägigen Fest soll die Brücke eröffnet werden.

dpa/hla

 

Derlei verbale Großkaliber zeigen, dass die Brücke nach wie vor die Gemüter entzweit. Zwar offenbarte eine Umfrage, für die unlängst rund 500 der 525 000 Bürger befragt wurden, eine auf 82 Prozent gestiegene Zustimmung. Orosz hofft deshalb, dass die Gegner »inneren Frieden« mit der Brücke schließen. Löser glaubt aber, dass die Umfragewerte zum einen der »Macht des Faktischen« geschuldet seien: Die Brücke ist nicht mehr wegzudiskutieren. Zudem seien die Kombattanten müde: »20 Jahre wurde gestritten. Zuletzt hat das Thema einfach nur noch genervt.«

Die Kontroverse begann, kaum dass die jahrzehntealten, aus Kostengründen aber zuvor nie umgesetzten Baupläne für die Brücke in den 90er Jahren aus der Schublade gezogen wurden. Stark wachsendes Verkehrsaufkommen löste damals den Ruf nach neuen Flussquerungen aus. Zunächst wurden auch Alternativen diskutiert; die PDS etwa befürwortete den Bau kleinerer Brücken an weniger sensiblen Stellen. Bürgerliches Lager und Autolobby drängten indes auf den großen Wurf - bald mit Rückhalt der sächsischen Regierung, die Förderung nur für die Waldschlösschenbrücke zusagte. Am Ende zahlte das Land 90 Prozent der Kosten.

Schon im November 2000 gab es einen ersten Spatenstich; zunächst wurde freilich weiter gestritten: über verkehrspolitische Notwendigkeit, Naturschutz und Folgen für das Landschaftsbild. Im Februar 2005 votierten dann bei einem Bürgerentscheid zwei Drittel der Teilnehmer für die Brücke. Dieses Ergebnis tragen Befürworter wie Sachsens FDP-Wirtschaftsminister Sven Morlok wie eine Monstranz vor sich her. Während die Deutschen üblicherweise gegen Bahnhöfe und Brücken wetterten, preist Morlok das »Signal der Dresdner«: Man sei »nicht dagegen, sondern dafür«.

Verschwiegen wird dabei, dass bei einem weiteren Bürgerbegehren über 55 000 Bürger eine Alternative forderten: einen Tunnel statt der Brücke. Dies wäre »die Alternative gewesen«, um den Erbetitel zu erhalten, sagt Löser. Behörden lehnten das Projekt aber ab. Stadt und Land blieben im Konflikt mit der Unesco stur. Georg Milbradt, damals CDU-Ministerpräsident, nannte den Verlust des Titels »verkraftbar«. Seine Parteifreundin Orosz nennt ihn heute »bedauernswert«, hält es aber für »richtig, das Projekt nicht an der Aberkennung des Titels scheitern zu lassen«.

In zwei Instanzen ohne Erfolg blieb auch eine Klage von Naturschützern gegen den Planbeschluss. Sie liegt nun beim Bundesverwaltungsgericht. Ein Sieg wäre für andere Verfahren wichtig, sagt Jörg Urban von der Grünen Liga. Er räumt aber auch ein: »Zum Abriss der Brücke führt das nicht.« Proteste der Gegner soll es bei der Eröffnung heute nicht geben. Die Stadt erwartet an beiden Tagen je 70 000 Neugierige.

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