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»Spiegel«: Blome wird nun doch kein Vize-Chefredakteur

Künftiger Chefredakteur Büchner unterliegt im Streit um den »Bild«-Mann den Ressortleitern des Magazins

  • Lesedauer: 4 Min.

Hamburg (Agenturen/nd). Im Machtkampf beim »Spiegel« hat der designierte Chefredakteur Wolfgang Büchner eine Niederlage gegenüber den Ressortleiter eingesteckt. Der »Bild«-Journalist Nikolaus Blome soll nun doch nicht als stellvertretender Chefredakteur beim Nachrichtenmagazin antreten. Stattdessen werde Blome lediglich Hauptstadtbürochef und Mitglied der Chefredaktion, sagte »Spiegel«-Sprecherin Anja zum Hingst. In dieser Funktion habe er außerhalb des Berliner Büros keine Weisungsbefugnis.

Büchner sei mit dieser Entscheidung den »Spiegel«-Ressortleitern entgegengekommen, sagte Hingst. Vergangene Woche war mitgeteilt worden, dass Blome zum 1. Dezember Hauptstadtbürochef und zugleich stellvertretender Chefredakteur des Magazins werden soll. Büchner, der noch bis Ende des Monats Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur ist, stand wegen dieser Ankündigung in der Kritik. Die Ressortleiter des »Spiegels« hatten sich am Montag einstimmig gegen Blome als stellvertretenden Chefredakteur ausgesprochen.

Ob die Gesellschafter ihre Zustimmung zu der Personalie Blome hätten geben müssen, ist strittig. Nach epd-Informationen hatte die Führung der Mitarbeiter KG, die 50,5 Prozent am Verlag hängt, der »Spiegel«-Geschäftsführung signalisiert, dass sie Blome als stellvertretenden Chefredakteur nicht akzeptiert. Weitere Gesellschafter sind die Erben von »Spiegel«-Gründer Rudolf Augstein, die 24 Prozent am Verlag halten, und der Hamburger Verlag Gruner + Jahr, der 25,5 Prozent der Anteile besitzt.

Am Mittwochnachmittag sollte eine Info-Veranstaltung der Mitarbeiter KG stattfinden, die bereits in der vergangenen Woche angesetzt wurde. Im »Spiegel« wird derzeit auch die Frage diskutiert, welche Absprachen die KG-Geschäftsführung zu welchem Zeitpunkt mit »Spiegel«-Geschäftsführer Ove Saffe getroffen hatte.

Blome ist derzeit stellvertretender Chefredakteur von »Bild«. In seiner neuen Funktion beim »Spiegel« soll er unter anderem die Berliner Redaktionen von »Spiegel« und »Spiegel Online« zusammenführen. Ein Wechsel vom Boulevardblatt »Bild« zum Nachrichtenmagazin »Spiegel« in einer solchen Führungsposition wurde in der Medienbranche als ungewöhnlich eingestuft.

Hintergrund
Die Mitarbeiter KG des »Spiegels«

Es war im Dezember 1969, als »Spiegel«-Gründer Rudolf Augstein mit einem besonderen Angebot an seine Mitarbeiter herantrat. Er wolle ihnen »Teilhabe am Unternehmen und am Ergebnis des Unternehmens« im Wege einer Schenkung zukommen lassen, sagte er bei einer Betriebsversammlung. Die Mitarbeiter waren überrascht, nicht alle waren begeistert. Linke im Haus sprachen von einer »kleinkapitalistischen Illusion«, ihnen wäre ein Redaktionsstatut lieber gewesen.

Einige Zeit später gründete die Belegschaft die »Kommanditgesellschaft Beteiligungsgesellschaft für Spiegel-Mitarbeiter mbH & Co.«, kurz Mitarbeiter KG. Zum 8. November 1974 übernahm die Gesellschaft dann knapp die Hälfte des Unternehmenskapitals. Heute besitzt sie 50,5 Prozent der Anteile und damit die Mehrheit - eine Konstruktion, die nach Verlagsangaben in Europa einzigartig ist. 25,5 Prozent liegen aktuell beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr, 24 Prozent bei den Erben des 2002 verstorbenen Augstein. Im Streit um die Ernennung des »Bild«-Journalisten Nikolaus Blome zum stellvertretenden »Spiegel«-Chefredakteur rückt diese besondere Konstellation einmal mehr in den Fokus der Öffentlichkeit.

Mehr als 700 Beschäftigte sind derzeit in der KG organisiert. Nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit können Mitarbeiter des »Spiegels« der Gesellschaft beitreten. Das gilt allerdings nicht für Angestellte von Tochterfirmen wie »Spiegel Online« oder Spiegel TV - ein Umstand, der im Verlag immer wieder für Zwist sorgt.

Die »Spiegel«-Mitarbeiter nehmen zusammen mit den anderen Gesellschaftern Eigentümerfunktionen wahr, außerdem stehen ihnen 50,5 Prozent des Gewinns zu. Allerdings fungieren sie nur als stille Teilhaber. Operative Mitspracherechte hat allein die Geschäftsführung der KG, die aus fünf Personen besteht und alle drei Jahre basisdemokratisch gewählt wird. Dabei müssen Redaktion und Verlag jeweils zwei Vertreter und die Dokumentationsabteilung einen Vertreter stellen.

Derzeit vertreten Gunther Latsch, Reporter im Deutschland-Ressort, und Marianne Wellershoff, leitende Redakteurin der Beilage »Kultur-Spiegel«, die Redaktion in der KG-Geschäftsführung. Für den Verlag sitzen Thomas Hass (Vertrieb) und Rainer Buss in dem Gremium. Die Dokumentation wird von Anne-Sophie Fröhlich vertreten. Sprecher der KG-Geschäftsführung ist Hass, sein Stellvertreter ist Latsch.

Die KG entscheidet »in allen wichtigen Fragen« mit, etwa bei Investitionen oder der Besetzung von Führungspositionen. Dabei muss laut Gesellschaftervertrag eine Mehrheit von 76 Prozent unter den Eigentümern erreicht werden - was in der Praxis zu einem Einigungszwang zwischen Mitarbeiter KG und Gruner + Jahr führt. Die Augstein-Erben haben mit ihren 24 Prozent formell kein Mitspracherecht.

Die Macht der Mitarbeiter KG hat schon so mancher Chef zu spüren bekommen. So wurde die Absetzung des langjährigen Chefredakteurs Stefan Aust, der wegen seines Führungsstils in die Kritik geraten war, 2008 von der KG-Geschäftsführung eingeleitet. Umstritten ist allerdings, ob es ein Mitbestimmungsrecht auch für die Position des stellvertretenden Chefredakteurs gibt. Seit den 90er Jahren haben sowohl KG als auch »Spiegel«-Geschäftsführung eigene Gutachten zu dieser Frage in Auftrag gegeben - mit konträren Ergebnissen. Bisher, so heißt es, haben beide Seiten darauf verzichtet, die Frage von Gerichten klären zu lassen. Es habe immer »Agreements« gegeben. (epd/nd)

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