Neubeginn im Hotel Lunik, Straße der Republik
1973 bis 2013. 40 Jahre. Und drei Fotos der Familie Gárate, die von Chile in die DDR floh
Der 1. Mai 1988 war einer der letzten Drehtage für den Film über chilenische Emigranten in der DDR. Von Brandenburg, wo »meine« Chilenen lebten, rumpelten wir mit dem Zug nach Berlin. Alicia, Enrico und ihre sechs Kinder nehmen mit Freunden und Genossen vom Büro Chile Antifascista an der Demonstration teil. Mit ihrer Fahne, mit Tanzen, Singen und Sprechchören fallen die etwa 50 Chilenen im Zug der Demonstranten auf. Natürlich.
Den Refrain des Liedes »Venceremos« - Wir werden siegen, singen auch DDR-Deutsche. Idee, Kraft und Glanz des »Venceremos« riss selbst politikverdrossene und agitationsmüde Bürger mit. Auch noch 1988, was heute gern vergessen wird. Im Zug war es zu Gesprächen mit völlig fremden Leuten gekommen. Ein Mann fragte Enrico, warum es die Putschisten so leicht hatten, die demokratisch gewählte sozialistische Regierung Allendes weg zu bomben. Die nie verheilte Wunde. Enrico wurde nachdenklich, erzählte von seinem letzten 1. Mai in Santiago: »Über 200 000 Leute waren gekommen. Wir wollten demonstrieren, dass unser Volk noch Kraft hat. Aber wie konnten wir uns gegen diese militärische Macht verteidigen? Wie? Mit den Händen? Mit unserem Willen? Mit unserer Seele?Mit unserer Fahne?«
Am Tag des Putsches liegen drei DDR-Schiffe in chilenischen Häfen und löschen ihre Solidaritätsfracht – Lebensmittel aus Spenden in Höhe von 32 Millionen Mark. Eine Woche später, am 18. September 1973 legte das SED-Politbüro fest, dass die diplomatischen Beziehungen mit Chile unterbrochen werden, am 25. September werden sofortige Maßnahmen zur Aufnahme chilenischer Flüchtlinge beschlossen. Der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) und das Solidaritätskomitee der DDR stellten Mittel bereit – bis Dezember 1974 insgesamt 9,6 Millionen Mark. Jede Emigrantenfamilie erhielt mindestens 2 500 Mark Übergangsgeld. Zur Einrichtung von Wohnungen gewährte der Staat langfristig zinslose Kredite, die nur in sehr niedrigen Raten (fünf Prozent des Nettoeinkommens) abzuzahlen waren.
Nach der Wende machte die Sparkasse aus diesen Krediten nachträglich ein gutes schlechtes Geschäft: Auf die noch offenen Restsummen des Kredites erhob sie nun elf Prozent Zinsen. Mit der zeitgleich beginnenden Arbeitslosigkeit und sofortigen Mieterhöhungen gerieten viele Familien in die Schuldenfalle und zahlten den Kredit teilweise bis zu 18 Jahre nach dem Ende der DDR zurück. ⋌BK
Die Frage aller Fragen: Warum? 15 Jahre nach dem Putsch - eine Lehre für alle Zeiten? Für sein Volk? Für alle kommenden Aufbrüche? Vielleicht. Antworten finden sich an den Gräbern der Geschichte - zum Beispiel der Pariser Kommune, der Unidad Popular. Und in der Zukunft. Wie es aussieht, beginnt die auf der anderen Seite der Erde. Lateinamerika - Kontinent der Hoffnung? Könnte sein.
So hoffte es jedenfalls Enrico Gárate. Und wollte nicht aufhören damit bis zu seinem Herzinfarkt im Oktober 2007. In Chile geboren, vor der Militär-Junta 1973 geflohen und 1974 in die DDR geflüchtet, 33 Jahre später in Brandenburger Erde begraben. Fremde Erde? Alicia denkt nach. Schüttelt den Kopf. »Du meinst, wegen Heimaterde und so?« Hm, ja. Nein, sagt sie. »Die DDR war doch eine zweite Heimat für ihn geworden. Für uns alle.«
Im Dezember 1987 habe ich die Familie kennengelernt. Erste Recherche in Brandenburg. Wohnblock gegenüber vom Bahnhof. Klingeln, Tür auf, Herzlichkeit. Zu Hause bei Gárates. Die Eltern und ihre Kinder Cristian, Patricia, Alexis, Grace, Moris und Yuri. Es wurde ziemlich spät. Für den Pressedienst des Fernsehens der DDR schreibe ich über diese Reportage:»Ich glaube, das wird eine schöne Arbeit.« Das ist es geworden. Und eine Freundschaft dazu. Der Film »Ich glaube an Chile und seine Zukunft« lief am 24. August 1988.
Genau 25 Jahre später, am 24. August 2013, entsteht das aktuelle Bild der Familie für diese Seite. Nachgestellt dem Foto, das Alicia 1974 im Frühjahr für ihren Reisepass machen ließ, um zusammen mit den Kindern ihrem Mann nach Argentinien zu folgen.
Eine schöne junge Frau, 32 Jahre. Cristian Gárate, der älteste Sohn, ist 1974 im Jahr der Flucht 11 Jahre alt, Alexis neun, Moris sechs, Yuri vier Jahre. Grace war sieben und Patricia wird auf dem Flug ins Exil zehn Jahre. Die Stewardess schenkte ihr eine Haarspange.
Cristian lebt heute in Rostock. Zum Glück kann er an diesem Wochenende nach Berlin kommen - keine Termine, keinen Auftritt mit den »Los Talidos«, einer multinationalen Band. Auf dem Foto steht er links hinten. Der große Bruder. Helläugig und mit blonden Locken sei er immer der Liebling aller Frauen gewesen. Sagt Alexis (auf dem Foto links vorn), von dem wiederum Moris (rechts) meint, dass er nicht nur der beste Schüler und bis heute der aktive Fußballer in der Familie war, sondern ebenfalls ein Weiberheld. Alexis muss bald wieder weg. Er pfeift in Neukölln ein Spiel der Berliner Kreisliga: NSC Marathon II gegen BFC Südring II.
Yuri, Schauspieler und Lehrer an der Starter Schauspielschule im Prenzlauer Berg, fehlt ganz. Er ist in Frankreich, gewissermaßen auf nachträglicher Hochzeitsreise mit seinem Partner. An der Volkshochschule in Templin leitet Yuri einen Theaterkurs. Patricia (auf dem Foto rechts hinter ihrer Schwester Grace), hat es tatsächlich aus Franken, »hinter den Bergen, wo überall ein Kreuz hängt«, geschafft. Sie ist Ärztin und gerade dabei, ein MVZ zu eröffnen, ein Medizinisches Versorgungszentrum - »du kannst auch Poliklinik sagen«. Alicia lebt immer noch in Brandenburg, ist aktiv in der Salvador-Allende- Freundschaftsgesellschaft. Mit ihrer Basisorganisation der Linkspartei bereitet sie eine Matinee zum 40. Jahrestag des Putsches vor und ist fast nie zu Hause erreichbar.
Moris wohnt in einer WG des Brandenburger Vereins für Gemeindenahe Psychiatrie. Manchmal geht es ihm gut, manchmal nicht. Er spielt gern und gekonnt Gitarre. Wenn er Ruhe finden will, liest er in der Bibel. 1988 diagnostizieren Ärzte der Charité und in Brandenburg Schizophrenie bei ihm. Seitdem nimmt er Medikamente und bekommt eine Rente. Lieber würde er arbeiten.
Grace wohnt um die Ecke am Friedrichshain. Sie ist Erzieherin in einem bilingualen Kindergarten, den sie vor zehn Jahren mitgegründet hat. Wir reden über Chile, Leben in der DDR und heute. Warum sie damals Kindergärtnerin wurde. »Meine Vorstellung war, in Chile den armen Kindern zu helfen. Die wurden von der Kirche genommen zum arbeiten, hatten da zwar ein Dach übern Kopf und auch was zu essen, aber im Grunde genommen wurden sie nur ausgebeutet. Ich wollte sie erziehen für ein schönes Leben.« Es mache Spaß, Kinder zu begleiten, wenn sie sich und die Welt entdecken. »Ásí comienza la vida de todos nosotros.« So fängt das Leben von uns allen an.
Sie erzählt, was sie von den Eltern weiß: Es ging ihnen nicht schlecht in Chile, aber einfach war es auch nicht. Und nach dem Putsch lebensgefährlich. Dass für die drei größeren Geschwister jeden Monat Schulgeld bezahlt werden musste und dass die Schuluniform auch gekostet hat. Bildung war nicht umsonst, höhere Bildung ein Privileg der Reichen. »Na klar wollten die nichts abgeben an das Volk. Das wollen die doch nie.« Die Unidad Popular (UP) und ihr Kandidat Allende werden das ändern. Bei den Wahlen 1970 erhält die UP 36,3 Prozent der Stimmen. In Chile werden die Weichen der Geschichte umgestellt. Eine Vision wird Wirklichkeit. Nicht perfekt, schwierig und konfliktreich. Aber sie existiert. 1000 Tage. »Wir haben soviel gehofft, dass sich unser Leben verändert«, sagt Alicia im Film. »Wir spürten den Schimmer von etwas Neuem.«
Die kleineren Geschwister können sich daran kaum erinnern. Die Großen erleben die Freude mit, als die Unidad Popular siegt. Als die Menschen auf der Vicuña Maquena tanzen - eine Straße quer durch ganz Santiago. Alexis sieht es bei seinen Großeltern, die an der Maquena wohnen. So wie sie den Aufbruch empfunden haben, registrieren die Kinder dann auch die Gefahr: Sperrstunde, Soldaten, Suchscheinwerfer. »An dem Tag, am 11. September - ein Dienstag - lief mittags kein Fernsehen mehr. Radio war auch tot. Nada. Als Cristian aus der Schule kam, haben wir die Flugzeuge gehört und Rauch gesehen. Dann haben wir Krieg gespielt.« Alexis wird es nie vergessen.
Es war beschlossene Sache, dass Enrico Gárate als erster der Familie Chile verlässt. Er ist Jurist, Mitglied der Radikalen Partei Chiles, in der Allende-Regierung als Gewerkschafter tätig. Alicia war sich sicher »die verdammten Faschisten hätten ihn gnadenlos umgebracht.« Kurz vor Weihnachten 1973 flieht er nach Buenos Aires. Mit 14 anderen Flüchtlingen versteckt sich Enrico in einer illegalen Drei-Raum-Wohnung, gewöhnt sich dabei das Rauchen ab, notgedrungen und irgendwann für immer. Dass ein Achat-Aschenbecher die Zeit übersteht, bringt ihn noch Jahre später zum Lachen - mit Staunen über die Wunderlichkeiten des Lebens und mit Dank für seine Wunder. Was denn sonst als ein Wunder der wütenden Verzweiflung war das Gelingen der Flucht mit der Fahne. »Unsere Fahne. Was konnte ich von meiner Heimat mitnehmen?« Nichts. Wenigstens die Fahne ... Das ist gefährlich. Er weiß es. »Naja, das Risiko habe ich in Kauf genommen.« Erst in der Reisetasche, kurz vor der Grenze unters Hemd gesteckt »ist sie meine Wege mitgegangen«. Heute liegt sie bei Alicia im Schrank.
Ist Erinnerung wie die Fotos, wie die Ausweise aus der DDR und aus Chile, wie die Geschichten dazu. Erzählung, die weiter getragen und Familiensaga wird. Oder nicht, wenn keiner mehr danach fragt: Wie war das? Wenn die Bilder verlöschen.
Yuri hat kaum Erinnerungen an sein Geburtsland. Vieles im Exil sieht er kritisch. Zum Beispiel, dass die Geschwister Berufe lernen sollten, die später gut für Chile sind. Er hält es für Drill, politisch und persönlich. Hat Nullbock auf die Ausbildung in Premnitz zum Chemiefacharbeiter mit Abitur. Schließt mit Ach und Krach ab und entdeckt das Theater für sich als Beruf. Faszination ist es schon seit der Schulzeit, als die Klasse regelmäßig das Theater der Stadt besucht. Dort wird Yuri Beleuchter, dann als Schauspiel-Eleve unter Vertrag genommen. Na gut, sagt Enrico, wir unterstützen dich. Auch ein Schauspieler kann seinem Land nützen, wird er sich gedacht haben und erkennt nicht die vielen Aber, die sein Jüngster hat. Streit liegt in der Luft. Mit der Wende nabelt sich Yuri endgültig ab, auch politisch. Was seine Eltern zunächst schockt, begeistert ihn. Ungewohnte Ungebundenheit und neue Möglichkeiten - »ich hatte andere Wünsche als für revolutionäre Veränderungen in Chile zu kämpfen. Das hat nichts mit mir zu tun. Das ist die politische Geschichte meiner Eltern. Das ist nicht meine Realität.« Aber natürlich unterschreibe er jederzeit eine Petition gegen die Junta.
Selbst erlebt oder erzählt bekommen - der Unterschied macht Unterschiede und Konflikte.
Die Geschichte mit dem Hund, den sie 1974 zurücklassen mussten, haben alle parat. »Bei der Abfahrt zum Flughafen lief er dem Auto mit uns Kindern hinterher und wurde immer langsamer und langsamer und irgendwann konnte er nicht mehr.« Sie alle heulten Rotz und Wasser. Das war der Abschied. Für lange, lange Zeit.
So lang, dass das fremde Land DDR, in das sie gehen, über die Jahre ihre zweite Heimat wird. Die Hoffnungen, die ihnen blutig zerschlagen wurden, nehmen sie mit. Gemeinsam fliegt die Familie von Argentinien in die DDR. Am 24. Juli 1974 landen sie in Berlin-Schönefeld. Fahrt nach Eisenhüttenstadt, Hotel Lunik in der Straße der Republik. Die erste Nacht im Exil. Ihr Betreuer hat eine Glatze und heißt Günter Stengel. Was sich Kinder so merken.
Die sozialistische Wirklichkeit ist nicht paradiesisch. Sie ist einfach. Sie gibt der Familie Ruhe, Arbeit, Willkommen. Gárates richten sich ein - für zwei, drei Jahre, denkt Alicia. Über Rückkehr wird oft gesprochen, jede Nachricht verfolgt. Heimweh vergeht nicht. Leben im Exil - und plötzlich sind die Kinder groß. Sie bekommen Ausweise der DDR und behalten die chilenische Staatsbürgerschaft. Alle erlernen einen Beruf. Patti beginnt ein Medizinstudium an der Humboldt-Universität - »Das war mein Traum. Mein Weg nach Chile.« Alexis studiert in Freiberg Bergbau, was nicht sein Traum war, aber ok. Ihre Mutter wird Kindergärtnerin, später betreut sie mit Enrico im Stahl- und Walzwerk kubanische Lehrlinge. Integration im Alltag. »Weißt Du, natürlich war das wichtig für uns, das merkt man erst jetzt. Aber mehr wert ist, dass wir ohne Angst hier waren. Geachtet waren. So ein Gefühl von Würde ... verstehst Du?« Der Verlust dieses Gefühls kommt mit dem Verschwinden der DDR. Für sie ein Bruch - »wie nach dem Putsch.« Nichts schien mehr zu gelten, was vorher richtig war. Ist es deshalb falsch? Wer bestimmt das Maß, mit dem gemessen wird? Was ist Heimat? Wo ist Zuhause? Welche Ziele braucht der Mensch und wie viel Gründe dafür? Reicht ein guter?
1973 - 2013. 40 Jahre. Drei Fotos. Dazwischen die Gezeiten der Gesellschaft, getrieben von Zauder, Zorn und Zuversicht. Dazwischen ihr Leben.
Mit Cristian treffe ich mich in der Mocca-Milch-Eisbar gegenüber vom Kino International. Sind das denn auch deine Fragen? »Ja, natürlich. Das hängt mit meinem Leben zusammen. Ohne diese Geschichte wäre ich ein anderer Mensch.« Er erlebt die Ungerechtigkeiten im Alltag, sieht die Spaltung in oben und unten und fragt Warum. »Das mischte sich mit der Bewegung in der Gesellschaft und mit den Gesprächen zu Hause. Dann die Jahre der Unidad. Dann siehst du die berüchtigte Cacerolazo. Stell dir das Bild vor: Aufgetakelte Mittelstandsfrauen, die noch nie gehungert haben, ziehen mit leeren Kochtöpfen klappernd durch die Stadt. Das stinkt doch nach CIA« - mit der Junta auf der Straße des Putsches direkt zu Mord und Totschlag.
Ja. Dann wird man mit 18 Jahren Mitglied der KP Chiles und sagt mit 50: »Der Kapitalismus verletzt mein Grundgefühl für Anstand und Gerechtigkeit.« Erste Maßnahmen der Mörder-Clique nach dem Putsch sind die Privatisierung verstaatlichter Betriebe, wie Chuquicamata, die größte Kupfermine des Landes. »Zuerst werden immer die Besitzverhältnisse geändert.Ich denke, das war überhaupt der Grund für den Putsch. Ihr hattet dafür die Treuhand.« Qui bono. Die Frage klärt die Fronten. Das sollte man nicht ganz vergessen, sagt er.
Bei Grace sehen wir uns Fotos an. Es ist eine Zeitreise und vertrautes Terrain: Potsdam, Berlin, Brandenburg. Auf den meisten Bildern wird gelacht. Wiedererkennung: Das war im Cafe »Kaskade«, da sind wir im Pionierlager in Rostock, das sind die Schulfreundinnen Carmen, Grit und Birgit, mit Elke sind wir heute noch befreundet. Das war in Leutenberg, 1974. Weihnachten und Erholung in einem Regierungsheim. »Ein Schloss. Wir wohnten in einem Turm, wie im Märchen.« Weihnachten war nie wieder so schön. Sagt Alexis. Moris nickt. Das nächste Bild: Treffen in einem Lampenladen in Babelsberg. Eine Verkäuferin hatte Alicia in der Poliklinik gesehen, sie ausfindig gemacht und in die Brigade eingeladen. Patti übersetzte, was ihre Mutter über Pablo Neruda erzählt. Alicia weiß heute noch den Namen der Frau: Helga Beier. Letztes Foto: Alicia und Enrico 2001 zu Hause bei Corvalan. Sie geben ihm Zeichnungen, die Leipziger Kunststudenten 1976 für eine Soli-Mappe gemacht haben. Das Jahr, indem Corvalan gegen den sowjetischen Dissidenten Bukowski ausgetauscht wurde.
Solidarität hat viele Gesichter: Freundschaft, Arbeit, Sprachunterricht, Studienplätze, finanzielle Unterstützung. Es ist die Briefmarke mit dem Bild von Luis Corvalan, ist ein Lied von Ernst Busch, ist eine gute Wohnung. Von allen Dingen das Schwierigste angesichts chronischer Wohnungsnot in der DDR und für manche Nachbarn Anlass für den neidischen Privilegienvorwurf. »Die Leute mussten ja nun noch länger auf eine Wohnung warten.« Es war uns peinlich, sagt Alicia. »Wir waren doch keine Bourgeois.« Für das, was sie brauchten, wollten sie arbeiten. Unter den Exilchilenen wurde diskutiert, »ob wir Emigranten die Äffchen für den Staat sind und benutzt werden für seine politische Propaganda.« Kann sein, sagt Alicia, »aber jede Regierung macht Propaganda und ein Bild von sich. Solidarität war eine Hauptsache von der DDR. Und ich war froh darüber. Warum bin ich denn hergekommen? Weil ich in meinem Land nicht leben konnte.«
Cambia todo Cambia - das Lied der Emigranten: Alles verändert sich, nur die Liebe zur Heimat nicht.
Nach der Wende fliegen Alicia und Enrico 1991 zum ersten Mal wieder in ihr Land. Die Armut erschüttert sie, der Protz der Reichen schockiert. Das Land liegt noch tief im Schatten der Diktatur. Anhänger und Mitläufer der Junta prägen das politische Klima.
1998 packen Patti und Grace ihre Siebensachen, um in Chile einen Anfang zu wagen. Das klappt nicht - Rückkehrer aus dem politischen Exil haben es schwer. Cristian reist 1993 nach Chile, erkennt seine Wurzeln und bringt Blumen an Allendes Grab. Sein Zorn: »Und Pinochet, der Hurensohn, ist davon gekommen!«
Yuri fliegt im Jahr 2000 zu seinen Verwandten in Santiago und fühlt sich sofort wohl. 1994 zeigt Alexis seiner kleinen Tochter seine Heimat und findet viele Erinnerungen wieder. Moris war noch nicht da, möchte aber gern hin.
Reise in ein fremdes schönes Land. Ihr Vater-Mutter- Heimatland.
Dann fliegen sie wieder zurück.
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