Sensation im Morgengrauen

Österreich: Im UNESCO-Weltkulturerbe Neusiedler See kann man auf Safari gehen und in einer Lodge einchecken

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
Elke Schmelzer, ausgerüstet mit einem Spektiv, auf Entdeckungstour.
Elke Schmelzer, ausgerüstet mit einem Spektiv, auf Entdeckungstour.

»Das kann nicht wahr sein! Das müsst ihr euch unbedingt anschauen! Was für eine Sensation!« Leander hyperventiliert fast, ist völlig aus dem Häuschen. Gespannt schauen alle durchs Spektiv, ein extrem leistungsstarkes Beobachtungsfernrohr. Doch an dem Gewässerrand ist nichts weiter zu entdecken als Enten und Gänse, die im Morgengrauen vor sich hindösen. »Und, habt ihr sie gesehen?« Leander glüht vor Aufregung. Haben sie, Enten und Gänse. Und was, bitteschön, soll daran eine Sensation sein? Leander zeigt auf ein ziemlich unspektakuläres Federvieh mit weißem Kopf, rostbraunem Gefieder und schwarzen Schwanzfedern. »Das ist eine Rostgans, seit Jahren ist sie aus der Region verschwunden, und nun das. Was für ein Glückstag!«

Noch ist der Funke nicht bei allen übergesprungen, doch einige hat der Ornithologe bereits angesteckt. Während der 24-Jährige noch dabei ist, mit seinem Superfotoapparat die Sensation abzulichten, glaubt eine Teilnehmerin der Tour, bereits die nächste entdeckt zu haben. Keine zwanzig Meter weg: etwa 30 Zentimeter groß, rote Beine, ein Gefieder, das in allen Regenbogenfarben schimmert, der Kopf mit einer langen zweizipfligen dunklen gefiederten Haube geschmückt. Was für eine Schönheit! Das muss unbedingt fotografiert und Leander gezeigt werden. »Ein sehr schöner Kiebitz«, sagt er und meint wohl vor allem das Foto. Denn Kiebitze sind hier zum Glück nicht so selten, erzählt er.

Die Urlauber, die sich an diesem Tag extra um vier Uhr aus dem Bett gequält haben, um mit dem Ornithologen noch vor Sonnenaufgang auf Fotosafari in den Nationalpark Neusiedler See im österreichischen Burgenland zu gehen, können zwar seine Euphorie über das unscheinbare Gänsetier nicht teilen, sind aber voller Bewunderung darüber, dass der junge Mann so vieles sieht, woran sie ohne ihn wohl achtlos vorbeigelaufen wären. Und so bekommen sie noch vor dem Frühstück Vögel vor die Linse, von denen sie bislang bestenfalls den Namen gehört haben: Rotschenkel, Stelzenläufer, Uferschnepfe, Rohrweihe, Pirol, Wiedehopf und auch Leanders Liebling, die Spießente. Die ist mit ihren unterschiedlichen Brauntönen, weißen Zeichnungen, blauem Schnabel und den extrem langen, spitzen Schwanzfedern tatsächlich sehr hübsch anzusehen. Die Fotoapparate klicken unentwegt, jeder »Fang« wird stolz den anderen präsentiert - längst hat die inzwischen putzmuntere Truppe das Jagdfieber gepackt.

Später, beim Frühstück in ihrer Lodge, erzählen sie den Langschläfern begeistert von ihren Erlebnissen im Morgengrauen. Hier, in der am 11. November 2009 eröffneten St. Martins Therme & Lodge im Seewinkel von Frauenkirchen hat auch Leander Khil seinen Arbeitsplatz. Er ist einer von 15 Biologen, Zoologen, Geologen, Botanikern und Naturpädagogen, die in dem Hotel, das sich als erste Lodge Mitteleuropas vermarktet, fest angestellt sind. »So etwas gibt es in keinem anderen Hotel Europas«, erzählt selbstbewusst Marketingchef Markus Pfeffer. Doch er gibt zu, dass der Begriff »Lodge« bei den Gästen anfangs schon für einige Irritationen sorgte, verbindet man mit ihm doch automatisch ein Camp im afrikanischen Busch, von wo aus man auf Safari nach den Big Five geht.

»All das bieten wir den Gästen hier auch, nur mit dem Unterschied, dass unsere Lodge nicht in Afrika, sondern am Rande des UNESCO-Weltkulturerbes Neusiedler See liegt«, sagt Elke Schmelzer, Biologin, Zoologin und Chefin der Rangerabteilung. »Wir bieten unseren Gästen ganzjährig ein umfangreiches Natur- und Tierbeobachtungsprogramm im 1993 gegründeten einzigen echten Steppennationalpark Österreichs. Zahlreiche Tiere und Pflanzen gibt es zu entdecken, allein 340 Vogelarten wurden hier nachgewiesen. Und die Big Five, die haben wir auch: Steppenrind, Wasserbüffel, Goldschakal, Weißstorch und Seeadler.«

Sie zu finden, machen sich ein paar Naturliebhaber am nächsten Abend mit Elke auf Safari. Steppenrinder und Weißstörche sind schnell ausgemacht, doch die anderen machen sich an diesem Abend leider rar. Dafür erleben die Touristen Elke schon bald im »Ausnahmezustand«. Gerade noch hat sie ihre Gäste ganz entspannt auf die Schafstelze, einen hübschen kleinen gelben Vogel, der sich am wohlsten in der Nähe von Weiden fühlt, aufmerksam gemacht, als sie plötzlich wie elektrisiert erstarrt: »Hört ihr das uuh, uuh, uuh? Das ist eine Rotbauchunke.« Ehe die verdutzte Truppe noch fragen kann, was das denn sei, liegt Elke schon im Gras, das Fernglas suchend vor den Augen, rutscht vorwärts, seitwärts, bis sie das Tier endlich entdeckt: Ein Fröschlein, nicht mal einen Zentimeter groß, mit einem dunklen, von hellen Warzen übersäten Körper und rotem Bauch. Nach dem Erlebnis mit Leander am Tag zuvor wundert sich zwar niemand mehr über Elkes überschwängliche Begeisterung, wohl aber darüber, dass so ein unscheinbares Tierchen so einen Lärm machen kann.

Am dritten Safaritag hat Manuel Böck, der Botaniker unter Elkes Mitarbeitern, seinen großen Auftritt. So manches auf Wiesen und Feldern ist den Beobachtern vertraut: Klatschmohn, Salbei oder Kornblumen. Da hält sich Manuel noch mit Erklärungen zurück. Richtig spannend wird es für ihn erst auf einer ausgetrockneten Salzlacke, wo die Laien nichts als ein paar mickrige Pflanzen entdecken können. Mit starr auf den Boden gerichtetem Blick sucht der Botaniker nach seiner Lieblingsblume, dem Kegelleimkraut. Das unscheinbare Pflänzchen, auf das er schließlich stolz zeigt, reißt nun wirklich niemanden vom Hocker. Das soll eine botanische Rarität sein? Ist es, doziert Manuel, auch wenn es nicht sehr attraktiv daherkommt. Doch darauf komme es nicht an, aber dass die Pflanze in der trockenen Steppenlandschaft überleben konnte, sei sensationell. Überhaupt gebe es hier eine unglaubliche pflanzliche Vielfalt. »Während auf einer normalen Gartenwiese durchschnittlich fünf verschiedene Arten pro Quadratmeter wachsen, sind es hier bis zu 30«, erzählt Manuel und bringt die Touristen nun doch noch zum Staunen.

Nach stundenlanger Safari freuen sich die Entdecker auf Entspannung im wohlig-warmen Wasser der Therme oder im hauseigenen Badesee. Da sie aber inzwischen so auf alles, was kreucht und fleucht fixiert sind, beobachten sie fast instinktiv vom Wasser aus weiter das Treiben am Himmel. Vielleicht lässt sich ja doch noch ein Seeadler blicken oder wenigstens ein Silberreiher.

Am Ende der Reise bekommt jeder ein Büchlein mit Fotos von 117 im Nationalpark vorkommenden Vogelarten. Jede Art, die sie auf ihren Streifzügen entdeckt haben, wurde von den Naturführern abgestempelt und mit Datum und Ort der Erstentdeckung versehen. 49 sind zusammengekommen, die Rostgans allerdings hat kein vorgedrucktes Bild im Vogelpass. Aber das macht gar nichts, denn schließlich war man ja selbst Zeuge der Wiederentdeckung und hat sie in zig Positionen fotografiert. Und irgendwie fühlt man sich bei dem Gedanken daran sensationell gut!

● St. Martins Therme & Lodge, Im Seewinkel 1, 7132 Frauenkirchen, Austria, Tel.: +43 (0) 2172 20 500-600 (Therme), -700 (Lodge), E-Mail: naturerlebnis@stmartins.at, www.stmartins.at

● www.nationalpark-neusiedlersee-seewinkel.at

Graugänse bei Sonnenaufgang über dem Nationalpark.
Graugänse bei Sonnenaufgang über dem Nationalpark.
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