Strommasten im Fadenkreuz

Syriens Minister beklagt Angriffe der Rebellen auf den Energiesektor des Landes

  • Martin Lejeune, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.
»Die permanenten und gezielten Angriffe der Aufständischen auf Syriens Stromversorgung treffen die Zivilbevölkerung und die Wirtschaft des Landes schwer und verursachen Schäden in Höhe von Hunderten Millionen Dollar«, sagt Syriens Elektrizitätsminister Khamis im nd-Interview in Damaskus.

Die ständigen Stromausfälle, auf die sich Syriens Elektrizitätsminister Imad Mohammad Deeb Khamis, bezieht, sind die Folge von Sabotageakten auf Stromleitungen und Bombenanschläge auf Elektrizitätswerke. Bis zu zweitägige Stromausfälle bei 40 Grad Hitze kamen in diesem Sommer vor - etwa als Aufständische die Gaspipelines zerstörten, die ein Elektrizitätswerk versorgen. Die südlichen Provinzen Daraa, Sweida, Damaskus und sein Umland blieben ohne Strom.

»Auch auf den Schienenverkehr gibt es regelmäßig Angriffe«, so Khamis. »Häufig werden Züge, die Gas für die Stromerzeugung transportieren, mit Raketen zerstört, Gleise demontiert und gestohlen.« Die Belegschaft der Elektrizitätsgesellschaft ist ebenfalls häufig Ziel von Angriffen. Über 600 ihrer Fahrzeuge, Maschinen und Anlagen wurden gestohlen oder zerstört. Auch die Mitarbeiter der lokalen Stromversorgungsunternehmen werden angegriffen und ausgeraubt. »Zwar bezahlen die Bürger in den von den Terroristen kontrollierten Gebieten ihre Stromrechnungen nicht mehr. Trotzdem versorgen wir sie noch dort mit Strom, wo es technisch möglich ist. Schließlich können wir, anders als oft behauptet wird, unschuldige Bürger nicht durch Stromentzug für die Verbrechen von Terroristen bestrafen«, beteuert der 52-jährige Minister. Daher verstehe er auch nicht, weshalb der Rat der EU ihn bereits im März 2012 auf die Liste der zu sanktionierenden Personen gesetzt hat.

Wie gelingt es unter diesen Umständen immer noch, das Land mit Strom zu versorgen? »Unsere technischen Notfallteams, die wir nach derlei Angriffen umgehend entsenden, um diese Schäden zu beheben und die Koordinatoren im Ministerium, arbeiten Tag und Nacht, um die Stromversorgung zu gewährleisten«, antwortet Khamis.

Der Vater von drei Kindern muss oft in seinem Büro übernachten und kommt so manchmal tagelang nicht nach Hause. Immer öfter würden die Mitarbeiter von Reparaturteams von Aufständischen gezielt getötet, um die Stromversorgung zu behindern, klagt Khamis. »Die Zivilbevölkerung soll auf diese Weise mürbe gemacht werden«, vermutet er. 81 zivile Ingenieure der Elektrizitätswerke seien in diesem Jahr bereits von Rebellen ermordet wurden. Sogar während des Interviews im Büro seines Ministeriums, das in einer streng bewachten Sicherheitszone liegt, erhält Khamis einen Anruf, das gerade wieder einer seiner Fachleute nach Ankunft an einem attackierten Umspannwerk von Scharfschützen getötet wurde. Ein Referent des Ministers rennt mit einem Telefon in der Hand zum Schreibtisch von Khamis, der das Interview höflich unterbricht.

Als der Minister von der neuesten Schreckensnachricht erfährt, sagt er stolz: »Die Mitarbeiter unserer technischen Notfallteams sind Helden, die trotz der großen Gefahr immer wieder zu allen Reparaturen ausrücken. Dieser ermordete junge Ingenieur, Vater von zwei Kindern, ist ein Märtyrer, der sich für sein Land geopfert hat.«

Der ansonsten sehr nüchterne Wissenschaftler wird in diesem Moment sehr emotional. »Die Angriffe auf unser Land zielen längst nicht mehr darauf ab, Präsident Baschar al-Assad von der Macht zu verdrängen oder ein Regime zu stürzen«, so der Minister. »Diesen Terroristen geht es darum, das Land als Ganzes zu zerstören. Die syrische Gesellschaft, der syrische Staat und seine Infrastruktur sollen vernichtet werden, noch stärker als es in Libyen der Fall war.«

Khamis, der 1981 an der Universität in Damaskus abschloss und seit 25 Jahren im Staatsdienst ist, legte bisher eine beeindruckende Karriere hin. Das Zentralkomitee der Baath-Partei hatte Mitte Juli deren Führungsgarde durch Spitzenpolitiker der aktuellen Regierung ersetzt. Insgesamt wurden 16 neue Mitglieder ins ZK berufen, darunter Khamis.

Damit ist Khamis’ Einfluss innerhalb der politischen Klasse weiter gewachsen. Nicht wenige Stimmen in Damaskus handeln ihn als künftigen Premierminister. Khamis selbst weist weitere politische Ambitionen weit von sich: »Ich sehe mehr Arbeiter als Minister, mehr Bürger als Politiker.«

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