Zittern in Hessen

Wahlkampfhelfer für die FDP reiste aus Dresden an, für die LINKE kam Alexis Tsipras aus Athen

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.
Überschattet vom Kampf um den Bundestag entscheidet das Wahlvolk in Hessen am Sonntag auch über die Zusammensetzung des Landtags.

Weil er Vereinsamung fürchtet, war der sächsische FDP-Landes- und Fraktionschef Holger Zastrow aus Dresden nach Wiesbaden geeilt. Sollte Schwarz-Gelb am Sonntag auch in Wiesbaden die Mehrheit einbüßen, bliebe nämlich Sachsen als einziges Bundesland mit FDP-Ministern übrig. Vermeintliche liberale Alleinstellungsmerkmale beschwor er. Zum Beispiel freie Fahrt auf Autobahnen, ohne Tempolimit. »Sonst wäre ich hier zu spät angekommen«. Rekommunalisierung der Energieversorgung nennt Zastrow »naive Staatsgläubigkeit«, der »Gleichmacherei« setzt er ein »Bekenntnis zum Unterschied« entgegen. Auf Distanz ging Zastrow auch zum jüngsten Beschluss des Bundeskabinetts über Mindestlöhne für Steinmetze, der in ihm offensichtlich DDR-Assoziationen weckt: »Ich komme aus einem Land, in dem staatliche Mindestlöhne galten.«

Der hessische FDP-Landeschef und Justizminister Jörg-Uwe Hahn stand Zastrows irritierenden Auskünften kaum nach. Ohne eine starke FDP würden SPD und Grüne sich letztlich doch noch von den »Postkommunisten der Linkspartei« in die Regierung hieven lassen, versuchte der Liberale mit Warnungen vor dem rot-rot-grünen Schreckgespenst zu punkten.

Wenige hundert Meter entfernt bemühte sich derweil Frank-Walter Steinmeier in der Abenddämmerung vor gut 200 SPD-Anhängern um einen Schuss Agitation. Der SPD-Fraktionschef im Bundestag gab die Parole aus, das »Schlafwagenkabinett in Berlin nach Hause zu schicken«. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer deutete kurz danach auf den um einen Kopf größeren hessischen SPD-Spitzenmann Thorsten Schäfer-Gümbel und wünschte, dass »der da mein hessischer Kollege wird«.

Dass ihm der Sieg nicht in den Schoß fallen wird, weiß »TSG«, wie ihn seine Anhänger kurz und bündig nennen. »Es wird super-, superknapp«, prophezeite er im Fußballerjargon und spornte seine Fans zur Höchstleistung auf der Zielgeraden an.

Bei hessischen Wahlen ging es immer wieder knapp zu. Die absoluten SPD-Mehrheiten im Hessen der 1960er Jahre, die den Mythos vom »roten Hessen« begründeten, sind längst Geschichte. Zuletzt scheiterte eine von der LINKEN tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung unter der SPD-Frau Andrea Ypsilanti am Widerstand von vier konservativen SPD-Abgeordneten, die beste Drähte nach Berlin und zum heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück hatten. Bei der Neuwahl 2009 rettete die CDU ihre Regierungsbeteiligung nur durch den künstlichen 16,2 Prozent-Hype der FDP. In jüngsten Umfragen sind die Liberalen allerdings auf fünf bis sechs Prozent abgerutscht.

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) versucht es staatsmännisch und umging bisher mögliche Fettnäpfchen. Bis er am Mittwoch in einer unvorsichtigen Äußerung die »Alternative für Deutschland« (AfD) als eine »von der Programmatik her normale demokratische Partei« bezeichnete und eine Zusammenarbeit nicht ausschloss. Die Oppositionsparteien nutzten die Steilvorlage und wetterten gegen ein derartiges Schielen nach Rechts. Bouffier ruderte mit einem »Ehrenwort« zurück, seine Beteuerung, er kenne niemanden in der AfD, wirkt allerdings unglaubwürdig. Schließlich tummeln sich im hessischem AfD-Landesverband namhafte Ex-CDU-Funktionäre. Bundesvizechef Alexander Gauland war 1987 bis 1991 Staatssekretär und Chef der Hessischen Staatskanzlei. Damals saß der junge Bouffier als Justiz-Staatssekretär am Kabinettstisch.

Die Hessenwahl ist für alle großen Formationen durchaus eine Schicksalswahl, für die FDP sowieso. SPD und Grüne galten im Frühjahr schon als klare Favoriten. Ein Misserfolg würde beide in die Krise stürzen. Und für die Linkspartei ist Hessen mehr als irgendein Bundesland. Hier und zeitgleich in Niedersachsen hatte sie Anfang 2008 erstmals in einem westlichen Flächenland den Sprung ins Parlament geschafft. 2009 schaffte sie 5,4 Prozent. Sollte es beim dritten Anlauf am Sonntag mit der »Fünf vor dem Komma« nicht klappen, hätte das bundesweite Signalwirkung. Die Partei wäre im Westen nur noch in Hamburg, Bremen und im Saarland in Landtagen vertreten.

So weit werde es nicht kommen, geben sich die Wahlkämpfer zwischen Neckar, Rhein und Werra zuversichtlich. Bei der landesweiten Abschlusskundgebung in Wiesbaden erhielt LINKE-Spitzenkandidatin Janine Wissler Rückendeckung durch Parteigründer Oskar Lafontaine und den aus Athen herbeigeeilten griechischen Oppositionsführer und Syriza-Chef Alexis Tsipras. Landesverband und Linksfraktion halten sich zugute, dass sie in Hessen mehr als anderswo im Westen solide in Kommunen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verankert seien und zu allen Politikfeldern eigene Programme entwickelt hätten. In fünfeinhalb Jahren hat sich die Fraktion für ein Vergabegesetz und gegen die Schuldenbremse in der Landesverfassung ebenso engagiert wie als Sprachrohr von Flughafen-Ausbaugegnern und Blockupy-Demonstranten. »Es ist gut, wenn DIE LINKE wieder in den Landtag kommt«, erklärte ver.di-Landeschef und SPD-Mitglied Jürgen Bothner als Gastredner bei einem Landesparteitag der LINKEN 2011.

Da am Sonntag ab 18 Uhr in den hessischen Wahllokalen zunächst die Bundestagsstimmen und erst danach die Landtagsstimmen ausgezählt werden, könnte der Wahlabend eine nervenzerreißende Sache werden. Ergebnisse früherer Landtagswahlen auch in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein zeigten schon, dass die Wähler für Bund und Land nicht gleich abstimmten.

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