Nicht sprechen - streicheln!
Schon eine leichte Berührung stärkt die Abwehrkraft von Pflanzen
Viele Menschen halten Pflanzen nur für regloses Grünzeug. Andere wiederum glauben, dass die von ihnen gepflegten Gewächse besser gedeihen, wenn man mit ihnen spricht. Oder wenn man sie sanft streichelt. Ganz von der Hand zu weisen ist zumindest Letzteres nicht, wie eine Untersuchung Schweizer Wissenschaftler zeigt, deren Ergebnisse im Fachblatt »BMC Plant Biology« (doi: 10.1186/1471-2229-13-133) veröffentlicht wurden.
Als Modellpflanze wählten die Forscher um Jean-Pierre Métraux von der Universität Fribourg die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), einen Kreuzblütler, der für die Pflanzengenetik ähnlich bedeutsam ist wie die Taufliege »Drosophila melanogaster« für die Tiergenetik. Tatsächlich wollten Métraux und seine Kollegen herausfinden, welche molekularen und genetischen Veränderungen in Pflanzen stattfinden, wenn man sie berührt. Dagegen sind die sichtbaren Reaktionen von Pflanzen auf mechanische Reize seit langem bekannt. Man denke nur an die sprichwörtliche Mimose, auch Schamhafte Sinnpflanze genannt, die bei Berührung sofort ihre gefiederten Blätter zusammenklappt. Oder an die Venusfliegenfalle. Diese besitzt ein mit spitzen Randborsten besetztes Fangblatt, dessen Hälften sich bei entsprechender mechanischer Reizung durch ein Insekt innerhalb von 100 Millisekunden schließen. Danach wird die gefangene Beute verdaut.
Zu solch augenfälligen Reaktionen ist die Ackerschmalwand zwar nicht fähig. Dennoch geht ein mechanischer Reiz auch an ihr nicht spurlos vorüber. Als Métraux und seine Kollegen die Blätter der Pflanze mit Daumen und Zeigefinger leicht befühlten, schütteten die Zellen Kalzium sowie reaktive Sauerstoffverbindungen aus. Beides diente vermutlich dem Zweck, eine mögliche äußere Gefahr abzuwehren. Denn bereits in einer früheren Untersuchung hatten die Schweizer Forscher bemerkt, dass die Ackerschmalwand bei einer Verletzung ihrer Blätter durch Nadelstiche ebenfalls reaktive Sauerstoffverbindungen freisetzt. Diese verhindern, dass der Pilz »Botrytis cinerea«, der Erreger der Grauschimmelfäule, die Blätter befällt und schädigt.
Den gleichen Prozess setzt die Ackerschmalwand auch bei einer sanften Berührung gewissermaßen vorbeugend in Gang. Zunächst leiten druckempfindliche Sensoren in den Blattzellen den mechanischen Reiz weiter. Sodann aktiviert die Pflanze in den Blättern mehrere Gene und erhöht die Durchlässigkeit der äußeren Blattschicht. Dadurch können die Abwehrstoffe besser austreten und den Schimmelpilz wenn nötig attackieren. Dank dieser erstaunlichen Sensitivität waren die im Laborexperiment gestreichelten Blätter bereits nach einigen Minuten gegen den Erreger immun. Allerdings ging die erworbene Fähigkeit relativ rasch wieder verloren. Als man nämlich die Pflanze nach acht Stunden erneut mit dem Pilz konfrontierte, waren nur noch 50 Prozent der ursprünglichen Resistenz vorhanden. Und nach 24 Stunden hatten die Blätter dem Pilz so wenig entgegenzusetzen wie vor einer Berührung.
Ob das, was für die Ackerschmalwand gilt, auch auf andere Pflanzen übertragen werden kann, bleibt noch zu untersuchen. Zudem deutet alles darauf hin, dass die Stärkung der pflanzlichen Abwehrkräfte ein lokaler Effekt ist. Das heißt: Um eine Pflanze gegen mögliche Erreger immun zu machen, müsste man vorsorglich jedes Blatt streicheln, was für echte Pflanzenliebhaber im Bedarfsfall aber keine Hürde sein dürfte.
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