Licht auf einen Ort der Finsternis

In deutsch-polnischer Zusammenarbeit soll in Sonnenburg/Słonsk ein neuer Erinnerungsort entstehen

  • Daniela Fuchs
  • Lesedauer: 4 Min.

Sonnenburg - ein viel zu freundlicher Name für eine Stadt, in der Schreckliches geschah, Menschen litten und starben. Diese Stadt in der Nähe von Küstrin war über viele Jahre ein Ort der Finsternis, der Unmenschlichkeit und Barbarei. Doch noch bevor deutsche Faschisten hier ein Konzentrationslager errichteten, verhieß der Name dieser Stadt nicht friedliche Idylle, hatte eher einen drohenden Klang.

1833 wurde in Sonnenburg ein Zuchthaus erbaut. Der polnische Philosoph Karol Libelt war dort 1846 inhaftiert. Er hatte an einer kühnen, aber letztlich missglückten Verschwörung für die Unabhängigkeit Polens mitgewirkt. Seine Briefe aus Sonnenburg geben Einblicke in den Alltag eines preußischen Gefängnisses.

1931 wurde die Haftanstalt aus hygienischen Gründen geschlossen. Die Nazis machten ab April 1933 aus dem Zuchthaus ein KZ. Nach dem Reichstagsbrand wurden in Sonnenburg bis zu tausend Hitlergegner eingekerkert, vor allem Kommunisten, darunter Rudolf Bernstein, der in seinem Bericht »Folterhölle Sonnenburg« Zeugnis über die Verbrechen ablegte. Häftlinge wie die Kommunisten Ernst Schneller, Walter Stoecker oder Gustl Sandter, aber auch der Publizist Carl von Ossietzky, der Jurist Hans Litten, der Schriftsteller Erich Mühsam und viele andere waren hier den sadistischen Folterknechten ausgeliefert.

Ein furchtbares Massaker

Ein Jahr später wurde das Lager geschlossen, im Krieg jedoch wieder als Zuchthaus in Betrieb genommen. Zu den Insassen gehörten nunmehr vor allem aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten deportierte Widerstandskämpfer, insbesondere Franzosen, Belgier, Norwegen, Holländer sowie Luxemburger. Die Häftlinge hungerten und froren in den alten Gemäuern, mussten Zwangsarbeit leisten, litten an Krankheiten. Die Sterbequote lag weit über dem Durchschnitt deutscher Haftstätten. Kurz vor dem Einrücken der Roten Armee in Sonnenburg verübte die SS in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 noch ein furchtbares Massaker. Über 800 Gefangene wurden an der Nordwand des Zuchthauses erschossen, darunter 91 Luxemburger, die den Dienst in der Wehrmacht verweigert hatten.

Sonnenburg heißt seit 1945 Słońsk und gehört zu Polen. Heute zählt die in der Wojewodschaft Lubuskie liegende Gemeinde 4900 Einwohner. Nach dem Krieg wurde der Zuchthauskomplex abgetragen und dessen Steine für den Wiederaufbau von Warschau verwendet. Aus dem Gedächtnis deutscher und polnischer Antifaschisten verschwand der Name Sonnenburg freilich nicht, allein die vielen prominenten Persönlichkeiten, die hier von den Nazis eingesperrt waren, sorgten für regelmäßige Erwähnung des KZ in der Literatur.

Zusammen mit der polnischen Gemeinde will nun die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) unter dem Vorsitz von Hans Coppi dort einen europäischen Gedenkort errichten (vgl. ND v. 5. Juli 2013). Um diesem Ziel näher zu kommen fand am vergangenen Wochenende eine Konferenz in Słońsk statt. Mit der Arbeit muss keineswegs bei Null begonnen werden, so Bürgermeister Janusz Krzyśków. 1974 wurde in Słońsk das Museum für Martyrologie unter großer Beteiligung der örtlichen Bevölkerung eingeweiht. Es war ausschließlich in gesellschaftlicher Arbeit entstanden, fachkundig unterstützt durch den Historiker und Staatsanwalt Przemysław Mnichowski, Leiter der Kommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen. Die Architektur des Museums orientierte sich an die Form des höchsten polnischen Militärordens Virtuti Militari.

Schimmelbildung bedroht Exponate

Inzwischen hat der Zahn der Zeit am Gebäude genagt, Schimmelbildung droht die hier ausgestellten Exponate zu beschädigen. Seit zehn Jahren bemüht sich Krzyśków um finanzielle Hilfe. Die jüngst gebilligten EU-Mittel reichen für die Sanierung des Museumsgebäudes und die Gestaltung des Vorplatzes. Für die Innenausstattung, die modernen musealen Anforderungen genügen soll, sind weitere Gelder nötig. Die Architektin Joanna Styka-Lebioda stellte die neue Konzeption vor. An einer multimedialen Erinnerungswand sollen Schicksale von Inhaftierten für die Besucher des Museums abrufbar sein. Die vielen Gesichter der Opfer geben dem Terror erst eine fassbare Dimension.

Mnichowski hatte bereits in den 1970er Jahren eine Namensliste von 600 Häftlingen mit Kurzbiografien erarbeitet. Frieder Böhne von der Berliner VVN-BdA berichtete in Słońsk über die Einrichtung einer Datenbank, die stetig ergänzt werden kann. Peter Gerlinghoff aus der ehemaligen Westberliner Friedensbewegung stellt seine sämtlichen Unterlagen zu Sonnenburg zur Verfügung. Diese hat er Ende der 80er Jahre gesammelt, als er mit Freunden und polnischen Wissenschaftlern ein gemeinsames Forschungsprojekt im Sinne von Friedensarbeit ins Leben gerufen hatte.

Eingeladen waren zur Konferenz in Słońsk auch Angehörige ehemaliger Häftlinge, die über das Schicksal ihrer Väter, Großväter und Onkel Auskunft gaben. Erika Klug aus Wiebelskirchen berichtete über ihren Vater August Klug, einen Bergmann, Gewerkschafter und Sozialdemokraten, der wegen Wehrkraftzersetzung nach Sonnenburg kam und beim großen Massaker kurz vor der Befreiung 1945 ermordet wurde.

Das neue, grenzüberschreitende Projekt verlangt von allen Beteiligten Einfühlungsvermögen, Verständnis und Fingerspitzengefühl. Denn es gibt dies- und jenseits der Oder unterschiedliche Erfahrungen - mit der Geschichte und in der Museumsarbeit. Gewiss ist es nicht leicht, Wissenschaftler und Laien, Angehörige von ehemaligen »Sonnenburgern« und engagierte junge Menschen unter einen Hut zu bringen. Doch die Mühe lohnt. Der Gedenkort soll auch ein Zeichen gegen rassistische, neonazistische und antisemitische Tendenzen in Europa heute setzen.

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