Merkels eigene Mehrheit

Die Union kann fast ohne fremde Hilfe regieren, aber eben doch nicht ganz

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin - mit Horst Seehofer als ihrem Vizekanzler. Welch erdrückende Vorstellung tat sich da auf, als am Sonntagabend noch eine absolute Mehrheit der Union möglich schien. Um Haaresbreite wurde diese verfehlt. Schon knapp über 42 Prozent hätten CDU und CSU gereicht. Weil die im Bundestag gelandeten Parteien zusammen nur etwa 85 Prozent der insgesamt abgegebenen Stimmen erhielten, ist die Schwelle für eine absolute Mehrheit tiefer gesunken denn je. Schon wurde an das Jahr 1957 erinnert, als Konrad Adenauer das bisher einzige Mal eine absolute Mehrheit für die CDU errang und damit den Höhepunkt seiner Karriere markierte.

Das Ergebnis von 41,5 Prozent dürfte die kühnsten Träume Angela Merkels und der übrigen Parteiführung dennoch übertroffen haben. Doch für Merkel wird die Mehrheit nun zum Problem. Denn mit dem Wegfall der FDP als Koalitionspartner sind CDU und CSU nun auf einen neuen Koalitionspartner angewiesen. Und die Kandidaten dafür verspüren offenbar wenig Lust, sich in der Umarmung Merkels erdrücken zu lassen. Von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel erfuhr sie am Telefon »in einem ersten Kontakt« immerhin schon mal, dass der einen Parteikonvent am Freitag abwarten wolle. Dafür habe die CDU-Vorsitzende Verständnis gezeigt, wurde Gabriel am Montag von den Nachrichtenagenturen zitiert.

An der größten Partei im neuen Bundestag liegt es jedenfalls, eine regierungsfähige Mehrheit zu organisieren. Der Ball liege jetzt im »Tor von Angela Merkel« machte sich die Parteivize Manuela Schwesig am Montag schon ein Wort des bisherigen Kanzlerkandidaten zu eigen. Wenngleich nicht ganz korrekt, denn Peer Steinbrück hatte vom »Spielfeld« der Kanzlerin geredet. Doch am Montag spielten solche Feinheiten eine untergeordnete Rolle. Jetzt geht es ums große Ganze.

Minderheitsregierung abgelehnt

Das Grundgesetz sieht vor, dass der Bundestag sich 30 Tage nach der Wahl konstituieren muss. Wenn zu diesem Zeitpunkt keine Regierung gefunden ist, kann die bisherige jedoch geschäftsführend weiterarbeiten. Eine von SPD oder Grünen tolerierte Minderheitsregierung lehnte die Bundeskanzlerin bereits klar und deutlich ab. Deutschland brauche eine stabile Regierung, so wurde sie nach den Sitzungen der CDU-Führungsgremien am Montag in Berlin zitiert. Große Koalition oder Schwarz-Grün - das sind deshalb die beiden Varianten, die nach dem Wahlergebnis vom Sonntag realistisch erscheinen. Die LINKE fällt trotz rechnerischem Gewicht aus allen Rechnungen von vornherein heraus. Anders als SPD und Grüne, deren Wahlziele ja formal eine ähnlich große Unvereinbarkeit mit der Union vermuten lassen, die aber als Regierungskoalition von 1998 bis 2005 bereits gezeigt haben, dass sie zu dem in der Lage sind, was hierzulande als Regierungsfähigkeit betrachtet wird. Beide Parteien hatten sich im Wahlkampf strikt auf den jeweils anderen festgelegt. Das macht es ihnen jetzt schwer, unbeschadet die Seiten zu wechseln.

In der SPD wird nun vor allem die Frage erörtert, welche machtpolitischen Schlüsse man aus dem Ergebnis zieht, ohne sich mit ihm öffentlich abzufinden. Am Vormittag tagte der Parteivorstand, am heutigen Dienstag wird die Fraktion im Bundestag zusammentreten. Das Thema immer: Wie bleiben wir standhaft - gegen eine Große Koalition, die doch der einzige Weg zur Macht ist? Damit agiert die SPD genau wie im Wahlkampf, als es darum ging, wie sie eine Regierung mit den Grünen bilden könnte, ohne eine Mehrheit dafür zu haben.

Man kann den Sozialdemokraten glauben, dass ihnen bei der Vorstellung flau wird. In guter Erinnerung ist noch der Absturz bei der letzten Bundestagswahl, die sich vier Jahren Großer Koalition anschloss. Allerdings war nicht die Große Koalition das Problem der SPD, sondern die Agendapolitik ihrer Führung. Die Große Koalition gilt den Bürgern dagegen als Erfolgsmodell, wenn man den Umfragen glauben darf, die einem solchen Regierungsbündnis das Wohlwollen eines Großteils der Wähler bescheinigten.

Vorliebe für die SPD

Die ersten dezenten Hinweise auf Vorlieben für die SPD als Koalitionspartner in der Union sind mittlerweile zum Ausdruck gebracht. »Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir in eine Große Koalition gehen«, sagte Fraktionschef Volker Kauder in der ARD. Mit den Grünen werde es hingegen sicher schwer - wegen der »Steuerorgie, die sie vorgeschlagen haben«. Für den nordrhein-westfälischen Landeschef der CDU, Armin Laschet, ist die Energiepolitik ein noch größeres Problem als die Steuervorschläge im Wahlprogramm der Grünen. »Wenn die Grünen sagen, ›Atomstrom Nein‹ und ›Kohlestrom Nein‹, dann ist das kaum eine Basis«, sagte er. »Denn wir brauchen für das Industrieland auch konventionelle Energien und nicht nur regenerative.«

Noch deutlicher äußerte sich der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef. Es gebe in der CSU-Spitze »überhaupt keine Bereitschaft« für ein Bündnis mit den Grünen, gab die Agentur dpa Horst Seehofer am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung in München wieder. »Ich habe heute niemanden gehört, der mich aufgefordert hätte, mit den Grünen zu reden.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal