Urnen können auf dem Kamin warten
Bremische Bürgerschaft gegen Friedhofszwang
Passend zum Saisonstart der gesetzlichen und religiösen Toten-, Trauer- und Gedenktage befasste sich die Bremische Bürgerschaft mit Bestattungsvorschriften und Friedhofsgebühren. Während die Stadtbürgerschaft die Friedhofsgebühren unter anderem für Urnenbestattungen anhob, will das Landesparlament die Friedhofsregeln ändern. Auch hierbei geht es um Urnenbestattungen. Das Landesparlament hat den Senat aufgefordert, per Gesetz den in Deutschland geltenden Friedhofszwang für das kleinste Bundesland zu lockern. Zudem soll es demnächst in Bremen Orte für Bestattungen nach muslimischen Vorschriften geben. Angedacht ist ein Pendant zu jüdischen Friedhöfen.
Friedhofszwang bedeutet unter anderem, dass die sterblichen Überreste Verstorbener nach der Einäscherung sofort auf einem öffentlichen Friedhof zu beerdigen sind. Eine Ausnahme bildet lediglich die See-Bestattung.
Nun soll es zukünftig im Zwei-Städte-Staat möglich sein, die Asche Verstorbener für bis zu zwei Jahre mit nach Hause zu nehmen. Auch die Bestattung in ausgewiesenen Arealen außerhalb öffentlicher Friedhöfe soll erlaubt werden. Allerdings nur, wenn die Verstorbenen zu Lebzeiten einem solchen Prozedere zugestimmt haben.
Grund für diese Änderung ist nach Aussagen der rot-grünen Koalition zum einen der steigende »Leichen-Tourismus« ins nachbarliche Ausland wie die Niederlande oder die Schweiz. In diesen Ländern besteht kein Friedhofszwang, so dass die Asche Verstorbener mitgenommen werden kann. Zum anderen könnte die Trauer mancher Hinterbliebener gemildert und das Abschiednehmen weniger schmerzhaft werden, wenn die Dahingeschiedenen noch eine Weile auf dem Kaminsims »mitwohnen«. Als drittes Argument wird die Individualität der Menschen angeführt, die bis über den Tod hinaus gelte. Deshalb sei es an der Zeit, auch andere Bestattungsformen als die Herkömmlichen zu erlauben. Schließlich gebe es sehr verschiedene Auffassungen von einer würdevollen ewigen Ruhe.
Kirchen und die Bremer CDU haben sich gegen das Vorhaben ausgesprochen. Die Bremische Evangelische Kirche reagierte mit scharfer Kritik. »Das hat für mich nichts mit Würde zu tun«, sagte ihr Friedhofsexperte Bernd Kuschnerus. Niemand wisse, was in den betreffenden zwei Jahren mit der Urne geschehe. Überdies könne manchen Hinterbliebenen bei einem Umzug oder Familienstreitigkeiten die Urne vorenthalten werden, fügte der leitende Theologe hinzu. Salopp gesagt: Wem gehört die tote Oma? Friedhöfe sind öffentlich zugängliche Orte für Trauer und Abschied. Was aber, wenn die Hinterbliebenen zerstritten sind, und eine Partei die Urne zu sich mit nach Hause nimmt, den anderen Trauernden aber den Zugang verwehrt?
Unklar ist auch, wer kontrollieren soll, ob eine Urne wirklich nach zwei Jahren ordnungsgemäß beigesetzt wird? Und wer kontrolliert, ob die Asche in der Urne dann wirklich die der Verstorbenen ist? Soll eine Art »Urnen-Polizei« eingerichtet werden? So sieht Bremens katholischer Propst Martin Schomaker »enorme verwaltungsrechtliche Probleme« bei der Kontrolle, dass »würdevoll mit der Urne umgegangen und sie nicht irgendwo entsorgt wird«.
Der Bremer Senat hat nun die Aufgabe den Arbeitsauftrag des Landtages einschließlich der vielen offenen Fragen umzusetzen.
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