Erdogans Kopftuchreform
Türkischer Ministerpräsident kündigt Demokratisierungspaket an
Als Antwort auf die Drohung der Arbeiterpartei Kurdistans, den Friedensprozess zu beenden, hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ein Demokratisierungspaket verkündet, das vor allem die Freiheit, ein Kopftuch zu tragen, verteidigt. Laut Erdogan soll ein Straftatbestand geschaffen werden, wonach jeder, der jemanden daran hindert, eine religiöse Pflicht zu erfüllen, mit mindestens einem Jahr und maximal drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann.
Damit ließen sich zum Beispiel Arbeitgeber vor Gericht bringen, die ihre Angestellten am Tragen eines Kopftuches oder am täglich fünfmaligen Gebet hindern. Erdogan ging mit gutem Beispiel voran und verkündete das Ende des von Staatsgründer Atatürk in den 30er Jahren eingeführten Kopftuchverbotes für Beamtinnen. Eine Ausnahme bilden Richterinnen, Staatsanwältinnen, Polizistinnen und Soldatinnen. Auch an öffentlichen Schulen bleibt das Kopftuchverbot außerhalb des Wahlfaches Korankunde in Kraft.
Schrittweise waren Kopftuchverbote bereits in manchen Bereichen, insbesondere an den Universitäten gefallen. Türkinnen mit mehr säkularem oder alewitischem Hintergrund befürchten, dass angesichts der Durchdringung des Staates mit Anhängern von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung auf das Verbot nun eine informelle Kopftuchpflicht folgen könnte. Auch dass nun Gerichte entscheiden, was als religiöse Pflicht anzusehen ist, dürfte als weitere Aushöhlung des von Atatürk eingeführten Prinzips des laizistischen Staates gesehen werden.
Außerdem verkündete Erdogan mehr Freiheiten beim Gebrauch anderer Sprachen als Türkisch. So soll das Verbot von nichttürkischen Buchstaben fallen. Demnach könnten in Zukunft im offiziellen Schriftverkehr und in Namen auch die Buchstaben Q, W und X gebraucht werden, die im Kurdischen, aber nicht im Türkischen vorkommen. Angekündigt wurde weiterhin die Rückgabe von Land zugunsten des christlichen Klosters Mor Gabriel.
Äußerst vage blieb Erdogan dagegen bei der wichtigsten Reform, der Abschaffung der Zehn-Prozent-Hürde, die seiner Partei bei Wahlen erhebliche Vorteile bringt. Erdogan kündigte nur eine Diskussion über drei Varianten an, von denen eine die Beibehaltung der jetzige Regelung ist.
Die Vorsitzende der kurdischen Partei des Friedens und der Demokratie, Gültan Kisanak, kritisierte Erdogans Paket scharf. Die Opposition von der Republikanischen Volkspartei (CHP) hatte es nicht so eilig. Ihr Vorsitzender Kemal Kilicdaroglu kündigte eine Antwort auf das Reformpaket erst für diesen Dienstag an. Die in der Kopftuchfrage einst beinharte CHP versucht in jüngster Zeit leiser aufzutreten, weil ihre Haltung von immer weniger Wählerinnen geteilt wird.
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