Tourismusfaktor Moschee

Mannheims Yavuz-Sultan-Selim-Moschee soll auch als Attraktion der Stadt wahrgenommen werden

  • Christine Cornelius, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem Reiseführer in der Moschee? In Deutschland ist dieses Bild eher unüblich. Aber das könnte sich ändern, glauben Experten. Am Donnerstag präsentieren sich viele muslimische Gebetshäuser zum Tag der offenen Moschee - auch die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim.

Mannheim. Bevor sie den Gebetsraum betreten, ziehen die Besucher ihre Schuhe aus. Der Teppich ist weich, die Füße sinken beim Gehen etwas ein. Die Blicke gehen an die kunstvoll bemalte Decke und bleiben an dem prachtvollen Kronleuchter hängen. Die Mannheimer Yavuz-Sultan-Selim-Moschee ist einer der touristischen Höhepunkte der Stadt - oder besser: Sie könnte es sein. »Interesse kommt meistens von Schulen«, sagt Moschee-Führer Talat Kamran. »Tourismusbüros haben Moscheen noch nicht für sich entdeckt.«

Tag der offenen Tür

Dabei habe das Thema Potenzial - sofern es eine besonders schöne Moschee sei, findet Tourismus-Experte Christian Buer von der Hochschule Heilbronn. »Auch Kirchen haben erst sehr spät erkannt, dass sie selbst eine touristische Attraktion sind.« Zur Mannheimer Moschee kommen an vielen Wochenenden schon jetzt Busse mit türkischstämmigen Touristen aus anderen deutschen Städten, wie ein anderer Moschee-Führer, Faruk Sahin, erzählt. Sie gingen in türkischen Geschäften shoppen und wollten am selben Tag auch die Moschee besichtigen.

»Das Interesse von türkischen Touristen ist sehr viel höher als von deutschen«, erzählt Sahin. »Anders als in der Türkei kann man sich hier noch nicht richtig vorstellen, dass eine Moschee touristisch besuchbar ist.« Der Geschäftsführer des Mannheimer Stadtmarketings, Georg Sahnen, sagt: »In erster Linie liegt es in der Verantwortung der einzelnen Institutionen, inwiefern sie ihre Einrichtungen selbst aktiv vermarkten.«

Doch nicht jeder in der muslimischen Gemeinde würde sich über einen boomenden Moschee-Tourismus freuen. »Ich weiß nicht, ob unsere Onkels so glücklich wären, wenn es noch touristischer wird«, sagt Sahin und lacht. Wie zahlreiche andere muslimische Einrichtungen in der Bundesrepublik lädt das Mannheimer Gebetshaus an diesem Donnerstag zum Tag der offenen Moschee.

Schuhe ausziehen, keine Bänke - viele Menschen seien beim Thema Moscheen unsicher, sagt Tourismus-Experte Buer. Auch das sei ein Grund für das bislang eher geringe touristische Interesse und mögliche Vorbehalte. Moscheen seien außerdem in der politischen Diskussion oft populistisch mit Terrorismus in Verbindung gebracht worden - auch das habe Berührungsängste geschürt.

Extra kleine Fenster

Nicht zuletzt gibt es immer wieder Proteste beim Bau von Moscheen in Deutschland. Auch in Mannheim wurde Anfang der 1990er Jahre viel darüber gestritten. Die Moschee-Führer erinnern sich noch gut. Einer zeigt auf die Fenster, die damals extra sehr klein gehalten worden seien - aus Angst vor Anschlägen. Es gebe aber auch historische Gründe dafür, dass auf dem Programm von Städtetouristen in Deutschland selten ein muslimisches Gotteshaus steht, sagt Buer. Die Moscheen hierzulande seien noch nicht besonders alt, es habe dort keine vergleichbaren historischen Ereignisse gegeben wie in Kirchen oder historische Moscheen in der Türkei. In Istanbul kommen Touristen an einem Besuch der Hagia Sophia nicht vorbei.

Das Interesse türkischstämmiger Touristen an der Mannheimer Moschee wertet Buer als Indiz für eine größere Entwicklung: Vor allem Pilger und Religionstouristen könnten angezogen werden, in zweiter Linie auch Architekturinteressierte. »Da entwickelt sich nach und nach ein Tourismusfaktor und die Städte werden das aufnehmen.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal