Leicht geschürzt, satirisch

Premiere in Leipzig: Wagners Frühwerk »Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Ouvertüre rückt sogleich einen Geschwindmarsch und relevante Leitcharaktere ins Bild, welche die zweiaktige Oper in Handlung setzt. Furios. Der Meister der Instrumentation verschafft sich Gehör. Tingelnde Harlekinaden in Blech und Holz. Unüberhörbar die Süße, die die Operette hat, ein Genre, das noch kommen wird. Turbulenzen am Ende. Eleganter Abschlag. Applaus. Über drei Stunden weg große Volkschöre (Choreinstudierung Alessandro Zupardo), Zwistigkeiten in all ihren Schattierungen aussingende Arien, Duette, Terzette. Oft Szenenapplaus. Großes Orchester, Dirigent Matthias Foremny, geschmeidig wie konträr untersetzt es die Szenerien. Kurzum: einzige Pracht, dieser Saisonauftakt der Oper Leipzig.

Wagners buffoneskes Spiel »Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo«, 1835 komponiert nach Shakespeares »Maß für Maß«, kam bunt verpackt, prall musiziert, leicht geschürzt, geriet auch witzig, satirisch. Was will der Bürger mehr? Hoch inspiriert das Ensemble. Gleichwohl, bei aller artifiziellen Höhe, die den vokal-instrumentalen Raum ausfüllte: allzu viel Äußerliches haftet der Inszenierung an, allzu viel Spritzigkeit, die eher verdeckt die Zeit öffnet und ins Heutige weist.

Pfahl im Fleische einer höheren Sittsamkeit

Zunächst: Die Oper ist unikal im Schaffen des Meisters. Neben »Lohengrin«, »Tannhäuser«, dem »Ring« oder später »Parsifal« ist sie die einzige, die diesen lachend-scharfzüngigen Tonfall hat. Darum ragt sie hervor. Das Libretto, eher ferne Anlehnung an Shakespeare, schrieb er selbst. Wagner, noch jung, voll ernster Gedanken, revolutionär gestimmt, nennt sie »große komische Oper«. Jedoch verwechselte er seine Ideen zum »Liebesverbot« nicht mit den Heiterkeiten der italienischen Opera buffa und der französischen Opéra comique, sondern sein Wurf sollte selber revolutionär sein, wenn auch nur immanent. Ohne die Restriktionswut der Metternich-Ära, die das halbe Europa niederdrückte, hätte der stürmische Mann das »Liebesverbot« wohl nicht komponiert. In der Oper ist das »Verbot« Leitmotiv und zugleich süße Frucht, es zu übertreten. Volk rebelliert, weil Friedrich, hinterm König oberster Satthalter von Palermo nicht nur den Karneval verbietet - die Leidenschaften sollen sich nicht unkontrolliert ausleben -, sondern die Liebe selbst. Die sei Pfahl im Fleische einer höheren Sittsamkeit. Nun, sagt die Oper, Verbote per Dekret seien dazu da, dass der, dem dieser Schabernack gilt, sie übertritt, verlacht, verhöhnt, sie als Idiotie vorführt. Dies allenthalben die Nahrung der Oper, die kostet die Inszenierung in der Regie von Aron Stiehl weidlich aus.

Da ist die Klosterschwester Isabella, glänzend besetzt mit Christiane Libor, dank deren Tatkraft, Trick- und Ideenreichtum ihr Bruder Claudio (Daniel Kirch) gerettet wird. Dass Isabella sich mit dem Tausendsassa Luzio, vornehm, frech, frivol in einem, einlässt, spricht nicht gegen sie, wohl aber für die gewonnene Lockerheit der Sitten, in der Irren allzu menschlich ist.

Zentral ist die Figur des Statthalters Friedrich. Tuomas Pursio singt diese Rolle baritonal in ihrer kirren Verklemmtheit und irren Verliebtheit. Der Mann, Staatshengst bis in die letzten Zellen, bleibt hängen ausgerechnet an der, die jene befreit wissen will, die Friedrich gefangen hält. Friedrich ist die philosophischste Figur der Oper und die aktuellste, sie weise, sagen kluge Leute, auf die Person Wagner selbst. Dem Bürger entschlafen die Freuden, sofern er in eine Ordnung gestellt und mit Pflichten versehen wird. Es ist eigentlich gegen seine Natur, was da statthat. Aber die kämpft er nieder, weil ja ach so viele Dinge wichtiger scheinen: der Staat, die Nation, die Moral.

Das Rationale unterliegt

Dieses paradoxe System lässt die Oper über Friedrich und seine Gegenspieler, voran die geträumte Gespielin Isabella, auffliegen. Das Subjekt ist bekanntlich kaum noch steuerbar, wenn das Herz puckert und die Sinne beben, weil da etwas entbrannt ist, das die Menschen Liebe nennen. Das Rationale unterliegt in dem Maße, in dem sich innen noch Gefühle regen, welche - lange verdrängt - plötzlich sich brachial Bahn schaffen wollen.

Überzeichnung statt des gemalten Urwalds hinten und trockener Räume vorn (Bühne Jürgen Kirner), statt bloße Siegesstimmung am Ende ein die Bühne umstürzendes Hohnlachen des Volkes, grelle Belichtung einer selbstgerechten, verluderten Staatswelt hätten Gewinn gebracht, d. h. viel mehr in die Jetztzeit gestellt.

Im realisierten Milieu indes gerieten denn auch die kleineren Rollen nicht allzu wahrhaftig: jene Dorella (Magdalena Hinterdobler), die wie Isabella Luzio liebt, doch mit Brighella (Reinhard Dorn) Vorlieb nehmen muss, Pontio Pilato (Martin Petzold), hilfreich bei jeder Intrige, wenn nur die Münze klingelt. Ein jeder sang prächtig.

Klug der kurze Part der Mariana (Anna Schoeck). Sie, von Isabella in die Irre geführt, ist die von Friedrich Verlassene, sie soll sich als Isabella am verabredeten Ort zu erkennen geben. Sie steht am Ende - von allen verlassen, einsam - am äußersten Rand, während die Gesamtheit jubelt.

Weiter: 13.Oktober

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