Werbung

Eine zweite Revolution?

Nejib Abidi ist tunesischer Filmemacher. Eine Woche saß er gerade im Gefängnis.

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Sie wurden am 20. September mit sieben anderen Künstlern inhaftiert. Wie fand Ihre Festnahme statt?
Abidi: Wir waren bei mir zu Hause und arbeiteten an einem Film, in dem es um die vielen Hundert tunesischen Migranten geht, die nach der Revolution von 2011 nach Lampedusa geflohen sind. Die Polizisten kamen in meine Wohnung und sagten, dass sie uns wegen Cannabiskonsums festnehmen. Eine Woche später sind wir wieder freigekommen, vier andere Künstler sind aber noch im Gefängnis.

Was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?
Das war eine politische Festnahme. Wir haben an Demonstrationen für die Auflösung der tunesischen Nationalversammlung teilgenommen. Außerdem stand mein Film gerade vor der Fertigstellung. Es geht darin auch um die Verwicklungen der italienischen Regierung in den Tod von Flüchtlingen. Der Film deckt auf, dass das italienische Militär dafür verantwortlich ist. Ich wollte unsere Arbeit auf einem Menschenrechtsfestival hier in Tunis zeigen, aber die Regierung wollte das offensichtlich verhindern. Es gab aber Kopien.

Ihr Film konnte also gezeigt werden?
Leider nicht, weil er durch unsere Festnahme nicht fertiggestellt werden konnte. Aber der Film meines Kollegen Abdalla Jahja konnte auf dem Festival gezeigt werden, während er selbst im Knast saß. Sein Film thematisiert Menschenrechtsverletzungen kurz nach der Revolution 2011 in einem Dorf im Zentrum Tunesiens. Dieser Film hat dann zwei Preise auf dem Festival gewonnen.

Hat sich denn nach der Revolution nichts verändert?
Die Rede- und Meinungsfreiheit ist sogar eingeschränkter als während der Diktatur von Ben Ali. Erst vor kurzem wurden beispielsweise zwei Rapper festgenommen, wegen der Texte ihrer Lieder. Es handelt sich quasi um einen Krieg gegen das Aufbegehren der jungen Leute, gegen die Blogger, die Künstler und die Musiker. Die Regierungspartei Ennahda, aber auch die anderen Regierungsparteien, wollen uns mundtot machen.

Wie geht es Ihnen jetzt?
Ich habe keine Angst. Ich bin diese Formen der Repression gewohnt, weil ich schon lange in der Gewerkschaft der Studierenden aktiv bin. Ich werde jetzt meinen Film fertigstellen und möchte Klage einreichen gegen den Innen- und gegen den Justizminister und gegen diese fadenscheinigen Anschuldigungen.

Aber das Verfahren gegen Sie geht weiter?
Ja, ich bin auf Bewährung frei. Momentan darf ich weder Pressekonferenzen geben, noch mich politisch engagieren. Ich darf auch nicht reisen.

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft Tunesiens?
Zum einen sehe ich, dass die tunesische Jugend sehr motiviert ist, sich engagiert und demonstriert. Zum anderen entwickelt sich die Regierung in eine komplett repressive Richtung. Sie manipuliert Leute und verübt Terrorakte.

Wird es eine zweite Revolution geben?
Auf jeden Fall. Die ökonomische Situation in Tunesien verschlechtert sich immer mehr. Ich sehe in der Tat nur noch diesen Ausweg.

Fragen: Tim Zülch

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal