Begehrtes vom Kupferkopf

Ob Gerinnungshemmer, Blutdrucksenker oder Schmerzmittel - Schlangen liefern Rohstoffe für verschiedene Arzneien

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 4 Min.
Schlangen produzieren hochwirksame Toxine, deren einzelne Komponenten als Grundlage für Medikamente dienen. Doch das »Melken« der Tiere ist gefährlich.

Alles geht blitzschnell. Mit wenigen gezielten Handgriffen greift Jürgen Hergert nach der Giftschlange, fasst sie am Kopf und drückt ihr weit aufgerissenes Maul an einen Becher. Es macht »knack« - die rostrote Viper hat die Plastikfolie durchbissen, die über den Becher gespannt ist, um ihren Kiefer zu schützen. Ihr kostbares Gift rinnt in den Behälter und sammelt sich zu einem bernsteinfarbenen Tropfen.

Hergert hält das Tier mit ruhiger Hand. Der 71-Jährige, der in der Kleinstadt Schladen im Harz eine Schlangenfarm betreibt, hat schon einige tausend Mal Schlangen gemolken. Der gefährliche Akt lohnt sich: Hergert verkauft die Gifte zur Herstellung oder Entwicklung von Medikamenten an Pharmafirmen und Forschungsinstitute.

Tiergifte in der Medizin

Kegelschnecke: Aus dem Gift der Zauberkegelschnecke lässt sich ein Stoff gewinnen, der starke Schmerzen lindert. Die synthetische Form der Substanz (»Ziconotid«) wird bei starken chronischen Schmerzen verschrieben.

Krustenechse: Die Gila-Monsterechse hält in ihrem Unterkiefer ein giftiges Sekret bereit, das ein wichtiges Peptid enthält: Mit der synthetische Variante des Stoffs (»Exenatid«) wird Diabetes mellitus vom Typ 2 behandelt.

Schwamm: Der giftige pazifische Meeresschwamm »Halichondria okadai« liefert den Wirkstoff Halichondrin B. Die synthetische Variante »Eribulin« wird bei fortgeschrittenem Brustkrebs eingesetzt. Der Stoff hemmt die Teilung von Tumorzellen. as

 

Für die Pharmazie sind die tierischen Giftcocktails äußerst interessant. Auf der Basis mancher Bestandteile werden Arzneimittel gewonnen, die in der Naturheilkunde etwa gegen Rheuma oder Asthma eingesetzt werden. Auch in der Schulmedizin spielen die Gifte eine Rolle. Zum Beispiel verdanken ACE-Hemmer, die häufig gegen Bluthochdruck eingesetzt werden, ihre Entwicklung der brasilianischen Lanzenotter: In den 1940er Jahren hatten Wissenschaftler entdeckt, dass der Biss der Schlange zu einem drastischen Blutdruckabfall führt. Später wurde der verantwortliche Wirkstoff isoliert. In den 70er Jahren gelang es Forschern schließlich, im Labor Substanzen mit einem ähnlichen Effekt zu entwickeln - die Grundlage für den ersten ACE-Hemmer. Daneben dienen Schlangengifte aber auch dazu, Antiseren zu produzieren. Werden solche Gegengifte gleich nach einem Biss gespritzt, können sie lebensrettend sein.

Hergert legt die rostrot gestreifte Schlange, ein nordamerikanischer Kupferkopf, in einen Eimer und verschließt den Deckel. Das Tier hat seine Arbeit getan und darf zurück ins Terrarium. Es ist mal wieder alles gut gegangen. Für die Forschung hat das Gift des Kupferkopfs ein großes Potenzial: Unter anderem enthält es Toxine, die die Blutgerinnung hemmen. Daraus wird seit Jahren eine Substanz gewonnen, die dazu dient, einer Thromboseneigung auf die Spur zu kommen. Offenbar hoffen Forscher jetzt, noch weitere Mittel entwickeln zu können. So möchte ein Pharmaunternehmen bei Hergert regelmäßig so viel Kupferkopf-Gift bestellen, dass er Tiere zukaufen und seine Farm umgestalten müsste, wenn er sich mit der Firma einigt. Dabei ist die Schlangenfarm in Schladen, in der allein 700 Giftschlangen leben, nach Hergerts Angaben bereits jetzt die größte in Europa.

Hergert hat vor mehr als 50 Jahren von einem südafrikanischen Schlangenexperten gelernt, den Tieren das Gift zu entnehmen - noch nie ist seither etwas dabei passiert. Doch beim Versorgen der Reptilien ist er insgesamt drei Mal gebissen worden. Das letzte Mal, im Jahr 2000, war es eine schwarze Mamba, die ihm in die Hand biss, als er ihr Terrarium säuberte. Ohne Gegengift sterben Menschen nach einem Biss innerhalb kurzer Zeit an einem Atemstillstand. Hergert ließ sich aber sofort ein Antiserum spritzen, wurde mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen und überstand dort drei Herzstillstände: »Die Ärzte hatten mich aufgegeben. Am nächsten Morgen konnte ich aber schon wieder frühstücken.«

Gerade weil es so wirksam ist, interessiert sich auch die Forschung für das Gift der schwarzen Mamba. So haben französische Wissenschaftler darin Proteine entdeckt, die Mäuse unempfindlich gegen Schmerzen machen. Möglicherweise lässt sich auf dieser Grundlage ein Schmerzmittel entwickeln, das ähnlich stark wirkt wie Opiate, aber weniger Nebenwirkungen hat.

Ein Wissenschaftler, der vom großen Potenzial der Schlangengifte überzeugt ist, ist der Biochemiker Prof. Johannes Eble von der Universität Frankfurt am Main. »Die Gifte sind Cocktails aus pharmazeutisch hochwirksamen Naturstoffen«, schwärmt er. »Sie sind extrem komplex und bestehen aus tausenden von Komponenten.« Meistens wirken die Gifte gleich auf mehrere Organsysteme gleichzeitig. Eble interessiert sich vor allem für Toxine, die Blutungen auslösen - solche sind in den meisten Vipern-Giften enthalten. Dahinter steckt das Ziel, neue Medikamente zu entwickeln, die das Blut verflüssigen und gegen Thrombosen wirken. Seit Jahren beschäftigt sich Eble damit, gerinnungshemmende Einzelkomponenten aus den Giften zu isolieren und ihr Wirkprinzip zu bestimmen. Diese Struktur versucht er dann synthetisch so nachzubauen, dass der Effekt erhalten bleibt, aber unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden. »Wir lernen von der Natur. Das Gift wurde schließlich über Jahrtausende der Evolution von der Natur angepasst und auf Wirksamkeit optimiert«, sagt Eble.

Eines Tages, so hofft Eble, könnte auf der Grundlage von Schlangengiften vielleicht sogar ein Krebsmittel entwickelt werden. In seinem Labor unternimmt er bereits Versuche mit Tumorzellen. »Aber das ist noch Forschung im Reagenzglas«, betont Eble. »Es ist zu früh, Tumorpatienten da Hoffnungen zu machen.«

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