Dauerfrust der Tagelöhner
Noch 100 Tage bis zu den Winterspielen in Sotschi
Bis zum Eröffnungsfeuerwerk der ersten Olympischen Winterspiele unter Palmen bleibt immer weniger Zeit. Der 100-Tage-Countdown in Sotschi am Schwarzen Meer startet am Mittwoch. Die Spannung ist groß, auch weil zuletzt Kremlchef Wladimir Putin den Organisatoren Dampf machen musste. Er erinnerte daran, dass der 7. Februar 2014 als Tag der Eröffnung »unaufschiebbar« sei. Und er hatte schließlich auch ein Spektakel der Superlative versprochen. Ein Prestigeprojekt, das nicht nur wegen der Kosten von rund 37,5 Milliarden Euro in die Geschichte eingehen soll.
Doch die Lage auf den Baustellen rund um die 379 Olympiaobjekte ist bisweilen ernüchternd. Das gigantische Fischt-Stadion mit 45 000 Plätzen ist direkt am Meeresufer noch immer nicht startklar. Das Staatsfernsehen kann seine Eröffnungsshow nicht proben. Eine Armee von 100 000 Arbeitern ist im Einsatz. Aber auch das scheint nicht genug. Jetzt trommelt das Arbeitsministerium in Moskau, um Erwerbslose im ganzen Land zu mobilisieren. 7000 Jobs seien zu vergeben. In den offiziellen Stellen will aber niemand von Problemen sprechen.
Die Staatsmedien greifen auch nicht den Dauerfrust von Tagelöhnern auf, die sich wie Sklaven ausgebeutet und um ihren Lohn betrogen fühlen. Und Sotschis Einwohner machen ihrem Ärger über Baulärm, steinigen Dreck auf den Straßen, der ihre Autos beschädige, sowie über giftige Müllhalden am ehesten noch in Internetblogs Luft. Zudem kritisiert die Opposition Korruptionsskandale und undurchsichtige öffentliche Ausgaben. Seit Beginn der Arbeiten reißt auch die Kritik von Menschenrechtlern nicht ab – von Zwangsumsiedlungen über Umweltzerstörung bis hin zu einer zunehmenden Einschränkung persönlicher Freiheiten. Ein Reizthema war hier das Verbot, öffentlich in Gegenwart von Kindern positiv über Homosexualität zu reden.
Die Medien berichten viel lieber in glanzvollen Bildern etwa von der Reise des Olympischen Feuers. Fast ist es, als sollte der größte Fackellauf der Geschichte – mit Stationen am Nordpol und im Weltall – ablenken von dem, was am Austragungsort Sotschi vor sich geht. Dass es Verzögerungen gebe, sei bei einem Projekt dieser Größe nicht ungewöhnlich, sagte zuletzt auch Putin. Der Aufwand für die »kompaktesten Spiele« sei extrem.
Die gesamte Infrastruktur – die Eisarenen am Schwarzen Meer und 45 Kilometer weiter die Wintersportanlagen in der Bergregion Krasnaja Poljana – entsteht neu. Doch damit nicht genug: Weil hier in den Subtropen die wärmsten Winterspiele aller Zeiten drohen, lagert abgesehen von Hunderten Schneekanonen tonnenweise Schnee in Depots, gesammelt in den vergangenen Wintern. Die Rohstoffmacht rechtfertigt all das mit dem Plan, aus der Stadt »ein Schaufenster für das moderne Russland« zu machen. Einen Kurort für das ganze Jahr, nennt es etwa der Chef des Organisationskomitees, Dmitri Tschernyschenko. Sotschi ist auch eine der Spielstätten der Fußball-WM 2018.
Wenn sich in wenigen Monaten Sportler, Offizielle und Fans in Sotschi einfinden, werden sie wegen der Lage in der Kaukasusregion auch auf schärfste Sicherheitsvorkehrungen treffen. Der Terrorist Doku Umarow aus dem nahen Konfliktgebiet im Nordkaukasus hatte im Juli zu Anschlägen aufgerufen, um die Spiele zu verhindern. Doch Innenministerium und Geheimdienst versprechen sichere Spiele. Zuletzt warnten unabhängige Geheimdienstexperten, dass es in Sotschi einen Lauschangriff auf Telefone sowie eine Totalüberwachung des Internets geben werde. dpa
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