Halt die Klappe, Hure!

Theodora Becker über die Stigmatisierung Prostituierter

  • Theodora Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Alice Schwarzers »Appell gegen Prostitution« zielt auf eine Ächtung und Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und Freiern. 
Prostituiertenverbände wehren sich mit einem eigenen Appell gegen die Stigmatisierung des Berufs.

Seien wir mal ehrlich: Ausbeutung findet niemand gut. Auch Gewalt, Krieg, Pestbeulen und lange Schlangen an Supermarktkassen rangieren auf der Beliebtheitsskala eher weiter unten. Würde man eine Umfrage in Auftrag geben und von den Befragten wissen wollen: »Finden Sie, dass Menschen eher unter Zwang oder eher freiwillig arbeiten sollten?«, würde eine Mehrheit nahe der hundert Prozent sich für die Freiwilligkeit aussprechen.

Doch, ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so. Und irgendwie gewöhnt man sich ja daran. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot und zu verschenken haben wir auch nichts. So richtig in Fahrt kommt die Sorge um die Erniedrigten und Geknechteten erst, wenn man noch eine Prise Sex zum Crime hinzufügt, damit der Voyeurismus auf seine Kosten kommt und der moralische Nervenkitzel eintreten kann, der vorzüglich durch vermeintlich Abartiges im Bereich des Geschlechtlichen ausgelöst wird. Ausländische Niedriglöhner im Baugewerbe: eher uninteressant. Massenhaft ertrinkende afrikanische Flüchtlinge vor Italien: Man macht eine Woche lang ein betroffenes Gesicht, und es gibt Sondersendungen im Fernsehen. Rückansichten halbnackter Frauen in roter Schummerbeleuchtung: Sklaverei, ganz eindeutig! Ein Skandal sondergleichen!

Pro & Contra Sexwork

Die unvermeidliche Alice Schwarzer, die bis heute noch immer von vielen beharrlich als »Frauenrechtlerin« oder »Feministin« bezeichnet wird, obwohl sie seit Jahren reaktionärstes Gedankengut in Umlauf bringt, macht Stimmung gegen Prostituierte und deren Kunden.

In einem an die Regierung gerichteten, von zahlreichen Medien derzeit völlig unkritisch begleiteten »Appell gegen Prostitution« werden Gesetzesänderungen gefordert, denen die Abschaffung des »Systems Prostitution« folgen soll. Prostitution, so heißt es dort pauschal, sei »Sklaverei«. Unter anderem hält man, »wenn nötig«, auch eine »Bestrafung der Freier« für angemessen. Mehr

Zwar kann man Ausbeutung nicht verbieten, denn schließlich beruht unser ganzes schönes Wirtschaftssystem darauf, und damit auch der Wohlstand, in dessen Genuss einige von uns noch kommen. Aber gegen Prostitution kann man doch was unternehmen, zumindest gegen die, die allzu sichtbar ist. Oder man kann so tun, als ob. Natürlich ist jetzt nicht die gewöhnliche Form der Prostitution gemeint, mit der zum Beispiel Alice Schwarzer sich der »Bild«-Zeitung andient, sondern diejenige, bei der anstelle des Totalausverkaufs geistiger und seelischer Regungen die schnöde körperliche Arbeitskraft eingesetzt wird.

Man müsste sich über die Schizophrenie wundern, mit der Fernsehen und Presse mit dem selbsterzeugten Skandal um die Prostitution ein gutes Geschäft machen und dabei nicht mit Sexploitation-Bebilderung sparen, während sie gleichzeitig Humanität heucheln und angeblich nur die Schicksale der armen Opfer im Sinn haben – wäre diese Masche nicht schon mindestens hundert Jahre alt und Teil der Geschäftsordnung. Ausbeutung wird immer dann zum Thema, wenn sie als besonders schlimmer Auswuchs oder anachronistische Praxis gebrandmarkt werden kann, die nicht mehr in unsere Zeit passe, und wenn sich damit Auflage machen lässt.

Genau so hält es auch Alice Schwarzer schon seit Jahren, wenn sie ihrem liebsten Hobby frönt: Kampagnen – oder noch besser: Appelle, das klingt so schön moralisch-dringlich – gegen die Prostitution zu entwerfen. Das geht so: Man nehme die Begriffe Sklaverei, Drehscheibe Deutschland, Frauenhändler, Lobbyisten, gigantische Profitrate und Menschenwürde, schon ist der Brei angerührt und kann möglichst heiß gegessen werden. Dann muss man nur noch fordern – und zwar »von Politik und Gesellschaft«, darunter macht man’s ja nicht –, dass das so umrissene »System Prostitution« gefälligst geächtet, überwacht, kontrolliert, verboten und schlussendlich ein für alle mal ausgeräuchert, pardon: abgeschafft werden solle.

Um dem Ganzen noch mehr Wumms zu geben, sammelt man Unterschriften von ein paar mehr oder weniger Prominenten ein, die vom infragestehenden Thema zwar keine Ahnung haben, aber natürlich völlig unabhängig davon furchtbar entsetzt darüber sind, dass es so etwas heute noch gibt. Und schon hat man die nötige sogenannte Medienaufmerksamkeit, die man heutzutage braucht, wenn man wenigstens den Anschein erwecken will, als würde man sich um die Zustände in der Welt ernsthaft Sorgen machen. Worüber man sich freilich keine Sorgen macht, ist, was die von den aufgestellten Forderungen Betroffenen davon halten.

Das sind in diesem Fall die Prostituierten, die mit ihrem Beruf – sei es weil sie ihn gewählt haben, sei es weil er ihnen von den Umständen aufgenötigt wurde – ihren Lebensunterhalt verdienen. Wie bitte, die sind gar nicht begeistert von der Idee, dass das »System«, das ihnen ihr Brot verschafft, »geächtet« werden soll? Die verfassen gar einen eigenen Aufruf, in dem sie die – nicht gerade von Frau Schwarzer erfundene – Ächtung ihres Berufes beklagen und rechtliche Gleichstellung einfordern? Früher, als die Huren noch ihre Klappe gehalten haben, weil ihnen ohnehin niemand zugehört hätte, war das soziale Engagement doch bedeutend einfacher.

Theodora Becker arbeitet für Hydra e.V. und verdient ihr Brot seit einigen Jahren im System Prostitution.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal