Vom Stauland zum Verkehrsmekka

Heiner Monheim zum Koalitionsgezänk über die Pkw-Maut und eine moderne Verkehrsplanung

  • Heiner Monheim
  • Lesedauer: 3 Min.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat den Koalitionären die Mautfrage auf die Agenda »gezwungen«. Nun positionieren sich unter anderem die Parteien und der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) zum Thema. Der ADAC ist gegen jede Pkw-Maut in Deutschland. Motto: Die Autofahrer zahlen eh genug. Und die Parteien debattieren die EU-rechtliche Verträglichkeit einer pauschalen Vignette mit Rückerstattung an deutsche Autofahrer im Rahmen der Kfz-Steuer. Keine Rolle spielen dabei die internationalen Erfahrungen mit verschiedenen Mautmodellen und der dringende Handlungsbedarf.

Dem Populisten Seehofer liegt besonders am Herzen, ausländische Fahrzeughalter durch die Pkw-Maut finanziell zu belasten. Wenn Deutsche im Ausland entweder für eine Vignette (Österreich, Schweiz) oder für bestimmte (privat finanzierte) Autobahnstrecken (Italien, Frankreich) zahlen müssen, dürfen nach seiner Ansicht deutsche Autobahnen nicht für Ausländer kostenfrei sein. Weil aber das europäische Recht eine Sondertarifierung für EU-Ausländer nicht zulässt, muss die Maut für alle Autofahrer gelten. Den Zorn des deutschen Autovolkes versucht die Politik dann durch Steuernachlässe zu besänftigen.

Neue auf GPS basierende Technik erlaubt eine gerechte, direkt fahrleistungsabhängige, nach Tageszeit und Straßenbelastung differenzierte Tarifierung. Das ist verursachergerecht und entspricht dem Prinzip der »wahren Kosten«, das Grundlage intelligenter Umweltpolitik werden muss. So lange Mautmodelle nur für einen Teil der Straßennetzes gelten, wird es immer wieder starke räumliche Verlagerungen geben. Der Autofahrer weicht der Autobahnmaut durch die Benutzung der sonstigen Fernstraßen einfach aus. Wer solche negativen Effekte vermeiden will, muss die Maut systematisch angehen, also das gesamte Straßennetz einbeziehen. Genauso wenig Sinn macht es, wenn eine Stadt wie eine »Insel« eine City-Maut einführt. Stattdessen müssen klare Mautregeln für alle Orte eingeführt werden mit Satzungshoheit für gewisse lokale Differenzierungen.

Besonders ärgerlich an der aktuellen Diskussion ist, dass kaum über die Verwendung der Mauteinnahmen gestritten wird. Wer daraus neue Autobahnbauorgien finanzieren will, verstärkt das verkehrs-, umwelt- und klimapolitische Desaster mit noch mehr Stau. Wer dagegen einen Großteil des Geldes für dringend erforderliche Investitionen in den Ausbau des deutschen Bahnsystems, in die kommunalen ÖPNV-Systeme und das nationale Radverkehrsnetz investiert, eröffnet eine echte verkehrs- und umweltpolitische Perspektive. Der größte Handlungsbedarf besteht im Nahverkehr, also bei den Gemeinden und Kreisen. Daher muss ein beträchtlicher Teil der möglichen Mauteinnahmen bei den Kommunen landen. Eine Mautverwendung zur generellen Haushaltssanierung wäre nicht akzeptabel. Dann nämlich behielte der ADAC Recht, der alle Mautvorschläge als reine Abzocke tabuisiert.

Der zentrale Punkt bei einer Maut ist die verkehrs- und umweltpolitische Lenkungswirkung. Potenziell könnte eine fahrleistungsabhängige und zeitlich wie regional differenzierte Maut die deutsche Verkehrsentwicklung positiv verändern. Als Grundeinstellung wird zunächst die Fahrzeugklasse nach Emissionsstandards tarifiert. Dann kommt die Hauptkomponente nach der Fahrleistung im gesamten Straßennetz. Wer viel fährt, muss viel zahlen. Und wer überwiegend teure Straßen benutzt und in der Hauptverkehrszeit fährt, zahlt ebenfalls mehr. Neben Umweltaspekten kann ebenso die Achslast variabel mit einer Maut belegt werden, weil das Gewicht eines Fahrzeugs maßgeblich für die Straßenabnutzung ist.

Die wichtigste Lenkungswirkung der Maut ist jedoch die bessere räumliche und zeitliche Verteilung der Nachfrage. In staugeplagten Tageszeiten und auf Strecken mit viel Stillstand wird am meisten gezahlt. Sogar die Geschwindigkeit kann bei einer Maut berücksichtigt werden, weil schnelles Fahren die Straßen stärker belastet, gefährlicher ist und die Umwelt stärker verschmutzt. All das entspricht dem »Verursacherprinzip«. Wer viel verbraucht, viel schadet und in den Verkehrsspitzen fährt, muss tiefer ins Portemonnaie greifen. Das entspricht einem Regulierungsmodell, das verkehrs- und umweltpolitisch das beste Ergebnis bringt, gerecht ist und aus dem Stauland Deutschland das Mekka für ein intelligentes und modernes Verkehrssystemmanagement macht.

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