Machenschaften und Moneten
Würfelspiel führt durch die Welt von St. Pauli
Von Volker Stahl, Hamburg
Nur wer wie Arne Schepke (31) lange Zeit mitten auf dem Kiez von Sankt Pauli wohnt, kann auf die Idee zu einem solchen Spiel kommen. Seit kurzem ist der »Kiezkönig« auf dem Markt und glotzt durch seine dunkle Sonnenbrille von der Spielschachtel über den Tresen - in der Esso-Tankstelle auf der Reeper bahn, im Karten-Center des FC St. Pauli und in Szene-Läden. Das Milieu, in dem sich Schepkes »Kiezkönig« bewegt, besteht aus einer anrüchigen Melange aus Glitzerwelt und Hinterhof. »Deshalb habe ich das Spielfeld auch in eine innere und eine äußere Bahn unterteilt«, erklärt der Spieleerfinder. Die beiden Laufpfade repräsentieren den legalen Kapitalismus und die Unterwelt, in der sich nicht minder zwielichtig Geld raffen lässt. Die Über gänge sind wie im richtigen Leben fließend. »Wer nach dem Würfeln auf dem Taxifeld landet, wechselt gewissermaßen die Straßenseite«, erklärt der Erfinder.
Beim Spiel starten drei bis sechs »Unternehmer« mit 300 Kiezdollars in der Tasche. Im schönen Schein der Geschäftswelt kaufen die Nachwuchs-Ringos und Kalles ihre Läden zunächst offiziell, machen Behördengänge und bezahlen brav ihre Steuern - bis sie unvermittelt per Taxi in die Unterwelt abdüsen. »Dort erstreitet sich der Kiezkönig letztlich sein Reich«, weiß Arne Schepke aus ungezählten Proberunden mit Freunden. In sechs Jahren »Werkstattzeit« haben wohl an die 50 Bekannte dem Kiezkönig mit Tipps, Verbesserungsvorschlägen und Gestaltungsideen auf die Sprünge geholfen.
»Das Kiezspektakel ist leicht entzündbar, wenn alle Unternehmer zu schnell zu viel haben wollen«, warnt Schepke. Erst wer die durch bunte Kärtchen symbolisierten »Insignien des Erfolgs«1, firundbesitz, Macht und Kapital, sein Eigen nennen darf und sich gegen die Konkurrenz behauptet, darf sich die Krone aufsetzen. Knapp 50 Mark kostet das ironische Spiel über die harte Wirklichkeit. Zwei Mark gehen für soziale Zwecke ans Stadtteilprojekt »Kurverwaltung St. Pauli«.
Der »Kiezkönig« erinnert mitunter an Spieleklassiker wie »Risiko« und »Monopoly«. Wer beim Gangster-Monopoly nach dem Motto »Was kann ich für mich tun und wie dem anderen schaden« verfahre, kann ganz nach vorne kommen, lautet sein bitterböser Geheimtip. Schepke hat aber nicht nur Würfel und Spielgeld im Kopf, er macht sich auch so seine Gedanken über den Ernst des Lebens. »Manche Menschen mutieren erst zu Gangstern, weil man ihnen bestimmte Dinge nicht erlaubt«, bringt der Kiezbewohner seine eigenen Erfahrungen aus sieben Jahren im Viertel auf den Punkt. Der junge Mann versteht sein Spiel als Sauere auf den Kapitalismus. Weder mit dem Erfolg der »legalen Kapitalisten« noch mit dem der schurkigen Kiezgrößen in natura hat Schepke etwas im Sinn. Sein großer Traum ist, einmal eine Partie »Kiezkönig« mit Udo Lindenberg zu spielen. »Wenn der vor dem Spiel den Hut zöge, hätte ich gewonnen.«
»Kiezkönig«, Heidelberger Spieleverlag, 49,50 Mark. Bestellungen über Kurverwaltung St. Pauli e.V., Bleicherstraße 3, 22767 Hamburg, Tel. (040) 319 18 43.
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