Psychotricks gegen den Mann im Ohr

Kurztherapie hilft Patienten mit akutem Tinnitus

  • Wolfgang Kappler
  • Lesedauer: 3 Min.
Jeder dritte Bundesbürger hat schon einmal vorübergehende Ohrgeräusche vernommen. Doch bei gut drei Millionen Menschen in Deutschland will das Klingeln, Pfeifen, Hämmern, Kreischen und Klopfen einfach nicht mehr aus dem Kopf verschwinden.
Der Tinnitus - nicht Krankheit, sondern Symptom - ist ständiger Begleiter manchen Menschens. Er schränkt die Lebensqualität bisweilen derart ein, dass die Psyche leidet und an ein geregeltes Leben kaum mehr zu denken ist.
Wie Tinnitus im einzelnen entsteht ist noch immer nicht vollständig geklärt. »Inzwischen sind gut 400 medizinische Ursachen bekannt«, sagt Dr. Martin Kusatz vom Tinnitus-Zentrum Düsseldorf/Krefeld. Das hat zu einer wahren Inflation von Behandlungsangeboten geführt. Darunter auch bestimmte Formen von Psychotherapien, die hauptsächlich zur Umlenkung der Aufmerksamkeit dienen. Davon profitieren vor allem Menschen mit chronischem, also länger als drei Monate andauerndem Tinnitus, die sehr stark seelisch leiden. Aber: »Auch Menschen mit akutem Tinnitus können psychisch bereits ganz erheblich durch ihr Ohrgeräusch belastet sein«, sagt Wolfgang Delb, Privatdozent an der Universitäts-HNO-Klinik in Homburg.
Gemeinsam mit dem Psychologen Roberto DAmelio hat Delb im Rahmen eines Modellprojektes mit umfassenden medizinischen und psychologischen Tests bei der Hälfte der untersuchten Betroffenen einen »dekompensierten Tinnitus« diagnostizieren können, also ein Ohrgeräusch mit seelischem Druck als Folge, der wiederum Gefühle von Hilflosigkeit, Angst, Verzweiflung, Wut und Ohnmacht erzeugt. Eine daraus resultierende innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen, Depressionen und Schwierigkeiten im Umgang mit alltäglichen Dingen kann die Lebensführung erschweren und den Tinnitus verstärken. Dieser Kreislauf muss sich möglicherweise nicht ausbilden, wenn man solchen Patienten, die sich bereits mit dem ersten Auftreten der Ohrgeräusche belastet fühlen, neben der üblichen Standardtherapie mit blutverdünnenden und entzündungshemmenden auch eine psychologische Behandlung anbietet. »Wir haben uns gefragt, warum man erst dann therapieren soll, wenn die Geräusche bereits im Gehirn fixiert sind, und haben deshalb einfach den Zeitpunkt für die so genannte Tinnitus-Retraining-Therapie vorverlegt«, sagt Delb. Diese Behandlung nach den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (ADANO) hilft Betroffenen, ihr Ohrgeräusch besser zu tolerieren und es zeitweise oder im optimalen Fall dauerhaft aus der Wahrnehmung auszublenden. Dies geschieht über das Weglenken der Aufmerksamkeit vom Ohrgeräusch.
Die Homburger Tinnitus-Kurztherapie - sie wurde von der Deutschen Tinnitus Liga mit dem Förderpreis 2005 bedacht - macht die Betroffenen auch mit Strategien zum Stressmanagement vertraut; sie erlernen verschiedene Entspannungstechniken und erfahren alles Wissenswerte über die Entstehung des Tinnitus, denn oft ist Information die beste Medizin. Bei Bedarf werden den Patienten spezielle Geräte (Noiser) angepasst, die ein angenehmes Grundgeräusch erzeugen oder es erfolgt die Versorgung mit einem Hörgerät. Damit soll das lästige Ohrgeräusch überlagert und wieder ein normaler Höreindruck ermöglicht werden. Die bisherigen Studienteilnehmer bestätigten Delb gegenüber, dass sie deutlich weniger belästigt würden und eine größere Lebensqualität und Zufriedenheit erlangt hätten.

www.tinnitus-liga.de, Tinnitus-Ambulanz: (06841) 162 42 10
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