- Politik
- Antonio Lobo Antunes erforscht die portugiesische Seele
Machtgier, Missgunst, Missionierungsdrang
Ein Buch über das Grauen ist es geworden, das neue Werk von Antonio Lobo Antunes; es war zu erwarten. Eine Fingerübung über Machtgier, Missgunst, Missionierungsdrang, über den Größenwahn eines kleinen Volkes. Seine Trilogie der zersetzenden Leidenschaften ist vollendet, der Stoff wird ihn wohl weiter beschäftigen: Unerschöpflich sind die Variationen des Themas, kaum erforscht die Abgründe der portugiesischen Seele. Wie, so fragt der Erzähler und Psychiater Antunes, kommen die Lusitanier mit dem Trauma ihrer Nation zurecht? Haben sie die 300 Jahre Schmach - den Verlust von Portugals Weltmachtgröße endlich verwunden? Keineswegs, meint Antunes. Immer noch brodele es in Volkes Seele. Im »Handbuch der Inquisitoren« ließ Antunes einen weibstollen Grundbesitzer, einen Günstling der endlos währenden Salazar-Diktatur, gegen den drohenden Wandel wüten. In dem Roman »Portugals strahlende Größe« behauptet der Autor, die Afrika-Kriege, all die im Namen des Abendlandes begangenen Gemetzel, hätten nicht nur das Land der Kolonisierten, sondern auch die Seele der Kolonialisten verwüstet. Nun, im dritten Band, hat er sich die »Nelkenrevolution« vorgenommen jenen Umsturz von 1974, der das Land zurückführen sollte in den Kreis der so genannten zivilisierten Nationen.
»Anweisungen an die Krokodile«: Die Krokodile, das sind ein paar exzentrische Kleriker, Geschäftsleute und Offiziere - Veteranen der afrikanischen Feldzüge. Allesamt gute Patrioten, stemmen sie sich gegen das Neue, denn der Umschwung riecht ihnen nach Höllenschwefel: »... es ging nicht um Rache, es ging darum, das Land vor den Linken zu retten, vor dem, was diese Linken beharrlich mit der Bezeichnung Kolonien bedachten, es ging darum, die Heimat von der spanischen Grenze aus zurückzugewinnen ...«
Die Krokodile - »Dies ist ein heiliger Krieg« - haben sich verbündet, um mit einem Aufsehen erregenden Attentat ein Zeichen für die konservative Revolution zu setzen. Das Signal wird nie gegeben; die Vorbereitungen des Terroranschlags (auf wen eigentlich?) enden mit einer Katastrophe. Ein Chor von Solo-Stimmen (vertraut aus anderen Antunes-Romanen) rekonstruiert den Weg ins Verhängnis. Ein reduzierter Chor. Mimi, Celina, Fätima und Simone heißen die Solistinnen. Nicht die Krokodile erhalten das Wort, sondern ihre Frauen - Mitwisser wider Willen. Ihr Wissen hat sie das Leben gekostet.
Eine lineare Story. Chronologie? Gibt es nicht. Aus Satz- und Gedankenfetzen muss sich der Leser ein Bild der Ereignisse zusammenbauen. Die Monologe sind nummeriert, aber nicht mit Namen gezeichnet. »Ich kugele mit geschlossenen Augen durch die Wohnung, stoße gegen die Möbel, während ich die Sonne wegscheuche und die Welt verfluche.« Wer spricht? Auch die Namen (mithin die Per sönlichkeit der Toten) gilt es zu rekonstruieren. Antunes aufregende, für den Leser manchmal auch lästige Eigenart, alle Geschichten eines Buches zu pulverisieren, kennt man aus anderen Werken des herausragenden Erzählers; langsam wird sie Marotte. »Man muss die Sprache wie den Körper einer Frau behandeln, die man liebt«, schrieb er einmal, »man küsst, man beißt sie, man seufzt...«
Immer wieder bohrt der Dichter in den Wunden, die seine Landsleute am meisten schmerzen. Mit kalter Neugier erkundet er das schlechte Gewissen der Nation. Dafür wird er zu Recht bewundert und gehasst.
Antonio Lobo Antunes: Anweisungen an die Krokodile. Roman. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer Minnemann. Luchterhand. 441 Seiten, gebunden, 48 DM.
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