Polybios - der Pragmatiker
Homer, HerodotundThukydides hatten wesentliche Ereignisse in verschiedenen Perioden der Geschichte der Griechen dargestellt. Polybios (ca. 200-ca. 120 v.u.Z.) behandelte deren Eingliederung in das werdende Imperium Romanum. Als ein politischer und militärischer Führer des Achäischen Bundes, der letz ten selbstständigen politischen Existenzform von Griechen, war er dieser Eingliederung zunächst reserviert begegnet. Auch er unterlag daher einer Form der Vertreibung. 168 v.u.Z. wurde er mit über 1000 anderen Achäern als Geisel nach Rom ver schleppt. Hier wandelte sich jedoch seine politische Haltung, die in seiner Geschichtsschreibung Ausdruck fand. Dieser Wandel wurde durch die Freundschaft mit dem späteren Scipio Africanus minor, der sich mit Eifer für die Einführung der griechischen Sprache und Kultur in Rom verwandte, befördert. Als der 3. Punische Krieg ausbrach, der mit der Zerstörung Karthagos endete - Brecht beschwor sie 1951 als warnendes Beispiel - nahm ihm Scipio sogar in seinen Stab auf.
Die Leitidee der Geschichtsschreibung von Polybios wurde der kriegerische, progressiv gewertete Aufstieg Roms zur beherrschenden Macht im Mittelmeerraum. Sein Werk umfasst die Jahre von 264-146/44 v.u.Z., vom Beginn des 1 Punischen Krieges bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth sowie die beiden folgenden Jahre. Erfolgt Thukydides in quellenkritischer Hinsicht, lehnt aber dessen Einfügung von selbsterdachten Reden ab. Nur jene Reden, die tatsächlich gehalten worden sind, will er aufnehmen. Überhaupt ist sein Werk mit häufiger Kritik an seinen Vorgängern verbunden.
Sein besonderes Interesse gilt der Erklärung der Verfassungsstabilität der römischen Republik. Vor allem Plato rezipierend, geht er dabei von den drei Grundtypen der Staatfor men aus: Monarchie, Aristokratie und Demokratie, die aber allesamt entarten, was einen ständigen Kreislauf der Staatsformen bewirkte. Die römische Verfassung habe aber deren drei Grundelemente übernommen. So entsprächen die Konsuln dem monarchischen, der Senat dem aristokratischen und die Volksver Sammlung dem demokratischen Typ. Doch eines Tages werde auch Rom wie andere Staaten untergehen. Das resultiere aus der unveränderlichen menschlichen Natur, wonach der Besitz von Macht unweigerlich zu Entartung und Verfall führe. Selbst Scipio, der Zerstörer von Karthago, habe auf dessen Trümmern befürchtet, dass auch Rom einst ein analoges Schicksal ereilen werde.
Polybios ist auch der Erfinder des Begriffs pragmatische Geschichtsschreibung, die de facto schon Tkukydides vertreten hatte. Voraussetzung dafür seien politische, militärische und geographische Kenntnisse. Für Polybios soll diese Geschichtsschreibung gleichfalls einer politischen Elite dienen. Und wie für seine griechischen Vorgänger und römischen Nachfolger war die Sklaverei, die seit dem 2. Jahrhundert ihre größte Dimension zu gewinnen begann, eine Selbstverständlichkeit. Polybios Tod war allerdings für Historiker keineswegs typisch. Mit 82 stürzte er vom Pferd.
Im gleichen Jahrhundert schuf auch im fernen China Sima Qian ein historiografisches Werk von hohem Rang. Als es in Europa bekannt wur de, galt er als der »chinesische Herodot«. Und der sowjetische Historiker A. J. Gurjewitsch sah übersteigert in diesem und Polybios die »beiden bedeutendsten Historiker des Alter tums«, die zudem »erstaunlich einmütig« die »Geschichte als Kreislauf« deuteten.
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