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Aufstieg des »Geisterläufers«

Ein Spanier aus dem Allgäu ist derzeit weitbester Langläufer- Johann Mühlegg Von Jürgen Holz

  • Lesedauer: 4 Min.

Ist der Mann von allen guten Geistern verlassen? Von allen vermeintlich bösen offenbar. Denn der einst als »Geisterläufer« verschriene Johann Mühlegg hat eine grandiose Saison hinter sich und ist der weitbeste Skilangläufer dieses Winters. Mit 948 Punkten, die er in 21 Rennen - darunter vier Siege - zusammen gesammelt hat, holte er sich den Gesamt- Weltcup mit einem riesigen Vorsprung vor dem Finnen Jari Isometsä (708). Der Mann aus dem Allgäu sicherte sich auch die Kleine Weltcup-Kugel in der Disziplin- Wertung für die lange Strecke über 50 km. Ein Bayer vor der kompletten sieggewohnten Langlauf-Elite aus Norwegen und Schweden, Finnland, Russland und Italien - das ist schon spektakulär. Das hat vor ihm noch kein Mitteleuropäer geschafft!

Johann Mühlegg stieg damit aber dennoch nicht zum besten deutschen Skilangläufer auf. Der 29-jährige Skating- Spezialist startet nämlich seit dieser Saison für Spanien. Nach einem sich über Jahre hinziehenden Streit und Prozessen mit dem Deutschen Ski-Verband, mit Trainern und Aktiven, hatte der DSV Konsequenzen gezogen. Er warf Mühlegg aus dem Nationalteam. Man hatte genug von den obskuren Vorwürfen über »vergiftete Getränke« und den »Geister-Geschichten« des »verfluchten Mannes«.

Die spiritistischen Ängste des strenggläubigen Katholiken waren nämlich mehr und mehr zum Problem hereangereift. So hatte Mühlegg immer wieder beharrlich und öffentlich behauptet, dass ein Spiritist im DSV-Team die Elektrolyt-Getränke, die den Läufern während des Wettkampfes unterwegs gereicht werden, besprechen würde und ihm davon übel werde. »Am nächsten Tag«, so behauptete Mühlegg, »bin ich dann immer todmüde.« Auch Mühleggs Ex-Frau Monika schilderte, dass sich ihr Mahn »krank gefühlt« habe, wenn er von Lehrgängen des Ver bandes zurückkam. Dabei soll Johann geäußert haben: »Mir will jemand schaden. Ich wäre schon ein Krüppel, wenn mir Gott nicht die Kraft geben würde.«

Alle Ratschläge auch von Psychologen, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, schlug Mühlegg in den Wind. Stattdessen suchte er regelmäßig über die Dame Agosthino, eine in München ansässige portugiesische Wunderheilerin, die schon Mühleggs Bruder Martin nach einer Lungenerkrankung in Anspruch genommen hatte, das Zwiegespräch mit dem Allmächtigen, mit Gott. »Die Gnade dieser Frau machte eine Bereinigung in mir«, behauptet Mühlegg, der weiterhin sein Weihwasser trinkt und daraus angeblich seine Kraft schöpft, dessen Ehe in die Brüche ging und der vor vier Jahren aus seiner Heimat Marktoberdorf fortging und nach Grainau zog.

Die »Geisterfahrt« des Johann Mühlegg ist längst kein Thema mehr. »Das alles ist Geschichte für uns. Davon wollen wir nichts mehr wissen. Vergessen, endgültig«, versichert Mühleggs sieben Jahre älterer Bruder Martin in einem ND-Telefonat, bemüht, auf diese Weise Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. »Unsere Familie hat viel einstecken müssen, auch weil die Medien das alles so hoch gespielt haben.« Martin Mühlegg hat die Rolle des Managers seines Bruders über nommen, blockt alles ab und lässt kaum einen an Johann heran. Den Aufstieg seines Bruders zum Weltcup-Gesamtsieger sieht er unspektakulär

»Ohne die Rückschläge wäre er schon viel früher ganz oben gewesen. Wie er das alles weggesteckt hat, zeigt seine Größe und seine Fähigkeiten. So ist es nach alledem auch eine Genugtuung für ihn, mit 29 Jahren und ganz aus eigener Kraft an die Spitze zu laufen.« Johann sei immer über zeugt gewesen, dass ihm der Durchbruch gelingt. »Der Skilauf ist sein Leben. Er lebt dafür, unbeirrt und konsequent. Es gibt für ihn keine Kompromisse«, verdeutlicht Bruder Martin den Weg zum Erfolg, zu dem auch gehört, dass sich Johann schinden kann und schon mal 800 Trainingskilometer pro Woche zurücklegt, wenn es sein muss.

Der Wechsel ganz woanders hin war lange Zeit vorbereitet worden. »Johann hatte viele Angebote, aber Spanien sagte uns am meisten zu«, schildert der Manager. Fast zwei Jahre lang zogen sich die Verhandlungen mit Spaniens Skiverband hin. Seit November vorigen Jahres besitzt Johann Mühlegg einen spanischen Pass. Oft trainiert er in Südspanien und nur noch gelegentlich im heimischen Umfeld entlang der Zugspitze. Die Trainer lassen den Läuferstar nach seinen Vorstellungen trainieren, reden ihm nicht rein und reden ihm auch nicht seine Eigenheiten aus. »Die Spanier sind viel umgänglicher mit uns«, meint Martin Mühlegg. Eine Anspielung an frühere Zeiten.

Johann Mühlegg hofft nun, dass der nächste WM-Winter genauso erfolgreich sein wird. Aber seine ganze Konzentration gilt den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City. Zu konkreten olympischen Zielen äußert sich Bruder Martin als seine rechte Hand mit keiner Silbe. Und er schweigt auch zu weitergehenden Plänen über Olympia hinaus. »Wir haben noch viel vor, aber darüber reden wir öffentlich nicht«, antwortet er lakonisch.

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