- Politik
- Jo Schulz wird achtzig
Poet und Schlitzohr
Er sieht immer so aus, als könne er kein Wässerchen trüben. Dabei ist er ein Schlitzohr- mit Tiefgang unter der Oberfläche. Sein Rezept: «Leben üben». Daraus hat er Anfang der 80er Jahre einen ganzen Gedichtband gemacht. Und so hält er s am Ostseestrand, das heißt im Häuschen hinter den Dünen, auch nach seinem 80. Geburtstag am letzten Märzentag. Daran ließ er jüngst am Telefon keinen Zweifel.
Jo Schulz wurde in Bautzen geboren, und als er die Welt entdeckte, befand sich diese im Krieg. Da er kein Jüngling mehr war, schaute er schon genauer hin, und vor allem, er schrieb auf, was er erlebte. Einiges aus seinen «Kriegstagebüchern» hat er - wie er s nennt - entziffert und in seinem Roman «Laufen ohne Vorder mann» verarbeitet. Auch den Stoff für ein «Nach-DDR-Buch» hat er daraus gewonnen: «Mene Mene Tekel», 1995 mit dem ungarischen Grafiker Andräs Märkos gestaltet, erschienen bei Glaskasten-edition und Verlag Leonberg. (Vielleicht ja noch erhältlich.)
Womit er zu DDR-Zeiten bekannt wur de, ist heutzutage meist leider nur im Antiquariat zu finden. Gedichtbände wie «Abrechnung», «Zwischen Frühling und Frost», «Poesie und Purzelbaum» oder «Hammelweisheit». Darin versammelte er poetische Variationen vom zarten Liebesgedicht bis zum bissigen Aphorismus. Davon ist kaum etwas von der Zeit über holt. Von ihm stammt der inzwischen fast unsterbliche Titel «Lachen und lachen lassen» für eine humoristisch-satirische Anthologie, mit der man nach vielen Auflagen bei Feiern jeder Art stets ein erfolgreiches Stück zum Vortragen fand.
Jo Schulz ist ein Poet des Alltäglichen. Er ist groß in der «Kleinkunst». Er liebt, was Liebe vermag, die Lust an der Reibung mit Widersprüchen. Wer wie er Leben übt, bleibt auch lebendig, wo man s kaum vermutet hätte. Im vergangenen Jahr feierte die Gerd-Natschinski-Operette «Messeschlager Gisela» fröhliche Urständ - an der Neuköllner Oper, in Cottbus, und auch in diesem Jahr sind mehrere Aufführungen an verschiedenen Bühnen geplant. Der Librettist heißt Jo Schulz.
Der hat zu DDR-Zeiten Literaten und Literatur für ein breites Publikum entdeckt. 1989 war seine Textsammlung «Spaziergang mit Jo» druckfertig, von Manfred Bofinger illustriert. Sie ist noch immer druckfertig, in der Schublade von Jo Schulz.
Jetzt malt er, hat sein Techtelmechtel mit der bildenden Kunst in ehrbare Dauer überführt. Aber seine Sprüche kann er nicht lassen, solche, wie er sie vor 30 Jahren schrieb: «Das Blatt kann sich wenden, denkt der Spießer, und nimmt ein anderes vor den Mund. Meist das falsche.»
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