Was trieb die Nazi-Schläger in absurden Ausländerhass?
Rechtsradikalismus Eggesin, eine vorpommersche Gemeinde, geriet in die Schlagzeilen und dann in Verruf Von Hans Lindow
Ein aufregender Ort ist Eggesm nun wahrlich nicht. Und aufgeregt nur in gewisser Weise. Etwa 7000 Einwohner wohnen in der kleinen vorpommerschen Kommune nahe der Grenze zu Polen. Und es scheint, als habe Eggesm den Sprung vom Dorf zur Stadt noch nicht richtig bewältigt.
Zu DDR-Zeiten war der Ort verpönt als Land der drei Meere - Sandmeer, Kiefernmeer, gar nichts mehr. Diese abgeschiedene Lage war lediglich für das Militär interessant. Mitte der 50er Jahre wurden Unterkünfte und Kasernen für die Kasernierte Volkspolizei gebaut. Die 9 Panzerdivision der NVA war hier beheimatet. Mehr als zehntausend Militärangehörige und zum Teil deren Angehörige lebten und arbeiteten hier. Geblieben ist ein Bundeswehrstandort, knapp 4000 Soldaten gehören heute zu der Truppe.
Eggesin verliert immer noch Einwohner. Der wichtigste Grund für die Abwanderung: Die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote von bis zu 25 Prozent. Dementsprechend verwaisen viele der zu DDR-Zeiten gebauten Neubauwohnungen, obwohl gerade in den vergangenen zwei bis drei Jahren Anstrengungen unternommen worden sind, um durch Abriss und Umbau der Plattenkonstruktionen mehr Farbe und Leben in die Stadt zu bringen.
In dieser Umgebung sind auch die fünf jungen Männer zu Hause, die vor wenigen Tagen in Stralsund zu Freiheitsstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt worden sind. Mit der Urteilsverkündung wurde ein Prozess, zumindest offiziell, abgeschlossen,, der während eines Volksfestes in Eggesin im vergangenen Jahr seinen Anfang genommen hatte,. lEnde August hatten die Jugendlichen zwei Vietnamesen überfallen und zusammengeschlagen. Eines der Opfer war nach der feigen Attacke dem Tode näher als dem Leben und konnte nur mit viel ärztlicher Kunst gerettet werden.
Nach dem Überfall hatte es Proteste gegeben. Die Pfarrer wetterten gegen die Tat, es gab einen Protestmarsch durch Eggesin. Parteien, allen voran die PDS, luden an den Runden Tisch zur Diskussion gegen Gewalt. Zwei junge Männer von einer Eggesiner Schule, in der auch die Täter zum Teil die Bank gedrückt hatten, trugen während einer Sammlung mehrere tausend Mark zusammen. Das Geld reichte, um unter anderem einem der Vietnamesen eine Reise in sein Heimatland zu er möglichen, wo er nach Jahren seine Familie wiedersehen konnte. Im Moment ist von solchen Aktionen nicht viel zu spüren.
Wo liegen die Wurzeln für die rohe Tat? Es habe wohl, so meinen Beobachter, ein Geflecht von Ursachen gegeben. In ersten Vernehmungen hatten einige der Täter Ausländerhass als Motiv angegeben. Die Ausländer, so schwang unterschwellig mit, seien schuld, dass es in Vorpommern, besonders im Uecker-Randow-Kreis, kaum Arbeit und noch weniger Lehrstellen gibt. Ein Blick in die Statistik jedoch besagt, dass gerade in dieser Region kaum Ausländer leben. Deren Anteil an der Bevölkerung liegt bei nicht einmal einem Prozent. In der Wirtschaft, die in Vor pommern überwiegend von mittleren und kleinen Unternehmen repräsentiert wird, sind fast ausschließlich Deutsche beschäftigt.
Ein Schwerpunkt der rechten Szene liege im Uecker Randow-Kreis. Das musste auch Gottfried Timm (SPD), Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, unlängst feststellen. Eine der Hochburgen ist Eggesin. Hier tummeln sich Mitglieder solcher Formationen wie «Arischer Widerstand» oder auch der «Nationalgermanischen Bruderschaft». Die jungen Männer treffen sich in Garagen, die mit zumeist eindeutigen Symbolen versehen sind. Immer wieder taucht da auch die Reichskriegsflagge auf. Die ist eigentlich nicht verboten, aber, so konstatiert Gerd Walther, PDS-Chef im Uecker-Randow-Kreis, von dieser Flagge geht Signalwirkung für die jungen Leute aus der rechten Szene aus.
Der Eggesiner Bürgermeister Gerhard Cantow (FDP) hat natürlich die Berichte nach dem Überfall genauestens verfolgt - und mittlerweile die Nase voll. Nach dem Vorfall, der bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, waren in der Stadtverwaltung Faxe eingegangen, in denen zum Beispiel gefordert wurde, die Jugend zur Räson zu bringen. Andernfalls falle Eggesin, das nahe dem Stettiner Haff und in der reizvollen Ueckermünder Heide liegt, als Urlaubsziel aus den Planungen. Nicht gut für eine Region, die sich den Ausbau des sanften und naturnahen Tourismus als Einkommensmöglichkeit und Jobmaschine auf die Fahne geschrieben hat.
Dementsprechend auch die Reaktionen des Bürgermeisters, der nur selten zu Stellungnahmen und Interviews über den Anschlag der Rechten bereit ist. Es sei zu wenig berichtet und zu viel vorverurteilt worden, es fehle die gründliche Recher ehe.
Wegen der Brisanz des Falles hatten sich während der Ermittlungen zu dem Überfall auch Landes- und Bundeskriminalamt eingeschaltet. Unter anderem sind die Garagen durchsucht worden. «Die hätten doch da aufräumen können», entgegnet Cantow auf Äußerungen, dass sich die Stadt zu wenig um die rechte Szene kümmere.
Dieser Vorwurf ist vom Gericht in Stralsund erhoben worden. Die Eltern, die Gemeinde Eggesin und zuständige Behör den trügen einen wesentlichen Anteil daran, dass die Hemmschwelle der Täter so weit herabgesetzt worden war, dass die Tat möglich wurde. Es habe keine Bemühungen gegeben, die Treffen der rechten Szene zu unterbinden, hatte der Vorsitzende Richter, Rainer Daily, erklärt.
Ein Polizeibeamter hat in diesem Zusammenhang auch davon gesprochen, dass es beim Einsatz der Polizei Pannen gegeben hat. Das Volksfest sei zwar durch Ordnungshüter abgesichert gewesen. Um 4 Uhr in der Nacht sind die Polizisten abgezogen, und bereits 15 Minuten später habe eine Frau telefonisch den Überfall gemeldet.
Pfarrer Udo Wollenberg aus Eggesin ist der Ansicht, dass es den jungen Leuten in der Stadt an «tragfähigen Angeboten» fehle. Disco, ein Sportplatz und das im Bau befindliche Sport- und Freizeitzentrum seien nur eine Sache. Der Pfarrer vermisst aber «Menschen, die sich mit den jungen Leuten auf den Weg machen» und mit Herzblut bei der Sache sind. Und eigentlich müssten gerade in der Region die am besten ausgebildeten Sozialarbeiter und Therapeuten eingesetzt werden, denn hier gebe es gravierende Probleme.
Praktisch, so sagte der Korrespondent einer großen überregionalen deutschen Tageszeitung, habe Richter Daily mit den kritischen Worten über die Stadt Eggesin, die Eltern und die Behörden eine ganze Region an den Pranger gestellt. Nun müsse in Eggesin doch etwas passieren, damit positive Signale gesetzt werden. Doch bislang blieb das aus.
Es ist offenbar alles beim Alten. Wird über den Vorfall gesprochen, weiter nach Ursachen gesucht, etwas unternommen? Zu bemerken ist rein äußerlich nichts. Eggesin ist eben kein aufgeregter Ort...
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