- Politik
- Vor 100 Jahren geboren Ignazio Silone
Christ ohne Kirche, Sozialist ohne Partei
Von Harald Loch
Wenn ein Geburtsdatum Programm sein kann, dann trifft es für Ignazio Silone zu. Am 1. Mai 1900 ist der «Christ ohne Kirche, der Sozialist ohne Partei» in den italienischen Abruzzen geboren. Er lernte früh die demütigende Armut der Kleinbauern seiner Heimat kennen, denen er mit seinem literarischen Werk ein bleibendes Denkmal gesetzt hat. Zunächst aber wurde er Politiker und politischer Journalist. 1921 war er Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens, der er bis zu seinem Ausschluss 1930 in verantwortlicher Stellung angehörte. Er arbeitete mit Gramsci, Togliatti und Pietro Nenni zusammen und reiste mit allen führenden Genossen 1922 nach Moskau. Faszination von Lenin, Zweifel an der demokratischen Struktur, erste Befürchtungen auch von Terror waren die Eindrücke. Alexandra Kollontai sagte zu ihm beim Abschied: «Wenn du in der Zeitung liest, dass Lenin mich hat verhaften lassen, weil ich im Kreml silberne Löffel gestohlen habe, so bedeutet das einfach, dass ich in Problemen der Agrarpolitik oder der Industrialisierung nicht ganz derselben Ansicht wie er war.»
Bei der Rückkehr fanden die Genossen ein verändertes Italien vor- Am 28. Oktober 1922 beugte sich König Vittorio Emmanuele III. dem Druck der Straße und beauftragte Mussolini mit der Bildung einer neuen Regierung. Italien war faschistisch geworden. Silone ging Anfang 1923 mit seiner Freundin Gabriella Seidenfeld nach Berlin, wurde von Willi Münzenberg für die Jugendinternationale nach Spanien geschickt, schrieb bald aus Madrid für die «Humanite», wurde verhaftet, gelangte nach Frankreich, begab sich illegal wieder nach Italien und reiste im Mai 1927 zum 8. Plenum der Komintern nach Moskau.
In seiner literarischen Autobiografie «Notausgang» schilderte Silone ein Schlüsselerlebnis auf der Tagung: Es ging um ein kritisches Papier Trotzkis zur chinesischen Frage. Silone meldete sich zu Wort, bedauerte, zu spät gekommen zu sein und deshalb Trotzkis Papier nicht zu kennen. Die überraschende Antwort Thälmanns habe gelautet: «Wir kennen das Dokument auch nicht.» Schließlich wurden Togliatti und Silone aufgeklärt, dass es nicht um das Papier Trotzkis ginge, sondern darum, dessen Position zu isolieren. In Italien wird seine Situation unhaltbar. Er flieht in die Schweiz, wird dort verhaftet, aber nicht ausgewiesen und um die Jahreswende 1930/31 aus der Partei ausgeschlossen. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass er in dieser Zeit Kontakte zur faschistischen Geheimpolizei aufgenommen hatte, um seinen wegen eines politischen Attentats in Italien von der Todesstrafe bedrohten Bruder zu retten - vergeblich.
Nach dem Ausschluss aus der Partei, in der Schweiz immer wieder inhaftiert, wegen Tuberkulose in Davos behandelt, fängt Silone an, Bücher zu schreiben. Er rechnet wegen seiner schlechten Gesundheit mit seinem baldigen Tode, schreibt «Fontamara», einen Roman über den Wider stand der Bauern in den Abruzzen gegen das faschistische Regime Mussolinis. Der Roman erscheint 1933 in Zürich in deutscher Übersetzung, später dann auch auf Italienisch. Er wird in viele Sprachen übersetzt und wird schnell ein Kultbuch des Antifaschismus. Es folgen ein Essay über den Faschismus, ein Erzählband «Die Reise nach Paris» und schließlich 1935 «Brot und Wein», ein Roman, der später nach einer Überarbeitung als «Wein und Brot» wohl der bekannteste von Silone geworden ist. Seine Zeit im Schweizer Exil war fruchtbar- Es folgen noch die in Dialogprosa geschriebene «Schule der Diktatoren», der Roman «Samen unter dem Schnee» und das Drama «Und er verbarg sich». Immer handelt es sich um politisch engagierte, sozialistische Literatur, meist sind seine gepeinigten Landsleute, die Kleinstbauern in den Abruzzen, die Opfer und auch die Helden. Immer ist die Haltung Silones ganz unabhängig von irgendeiner Parteizugehörigkeit unbestechlich, er lässt keine Frage zu, aufweicher Seite der Barrikade er steht.
Nach der Befreiung Italiens geht er in sein Land zurück und beteiligt sich immer in verantwortlicher Stellung an den ver schiedensten Gründungen sozialistischer Parteien. Der Weg in die IKP ist ihm wegen deren Bindung an die Sowjetunion nicht möglich. So gerät er während des Kalten Krieges unbemerkt in die Reihen der von der CIA gesteuerten und finanzierten Bewegung, die vom «Kongress für die kulturelle Freiheit» in Berlin 1950 ausgegangen war. Seine Zeitschrift «Tempo presente» wird, wie die Parallelgründungen «Der Monat», «Preuves» und dör «Envounter» insbesondere über die Ford Fondation von der CIA gesponsert. Man erwartet linkes antikommunistisches Engagement - und bekommt es von Silone nicht wegen, sondern trotz der unbemerkten Fremdfinanzierung.
So ein Leben ist ein Stück europäischer Geschichte, auch ein gutes Stück Geschichte von Arbeiterparteien mit der Besonderheit, dass Ignazio Silone, der 1978 verstarb, ein reiches literarisches OEuvre hinterlassen hat, dessen erzählerischer Rang und solidarisches Engagement, dessen poetische Bilder aus den bäuerlichen Abruzzen und dessen immer auch politisch zu lesende abenteuerliche Spannung ein wichtiges Vermächtnis der Weltliteratur geblieben sind.
Von Ignazio Silone bei Kiepenheuer & Witsch lieferbar- «Fontamara», «Wein und Brot», «Eine Hand voll Brombeeren», «Das Geheimnis des Luca», «Notausgang», «Severina». Außerdem erschien die Biografie «Ignazio Silone. Rebell und Romancier» von Dagmar Ploetz, aus der obiges Foto stammt.
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