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Bismarck verrücken?

Ernst Engelberg

  • Lesedauer: 3 Min.

? Der Dramatiker Rolf Hochhuth will das Bismarck-Denkmal von Begas am Großen Stern in Berlin wieder an seinen ur sprünglichen Standort vor den Reichstag versetzen. Was sagen Sie dazu?

Dieses Denkmal war 1901 feierlich enthüllt worden, zum 30. Jahrestag des «siegreichen Einzuges unserer Truppen anno 71» aus dem Frankreichfeldzug. Schon als die Hüllen unter Trompetenklang fielen, beklagten selbst Wohlmeinende, dass die Linien unschön und unharmonisch wären und das Ganze auseinander fiele anstatt sich aufzubauen. Kolossalisch hob sich die 15 Meter hohe Bismarck Statue hervor, angetan mit Pickelhaube, auf den Pallasch gestützt und barock-dekorativ die Stiftungsurkunde des Reiches haltend. Der löwenherzige Bismarck, umgeben von vier Figuren: einem gebeugten Atlas mit der Weltkugel, einer über einem Folianten rätselnden Sibylle, auf der Rückseite ein schwertschmiedender Siegfried, und rechts vom Helden tritt eine behelmte Walküre einen Tiger, Symbol des Aufruhrs, nieder. An dieser militanten Symbolik sollen sich also vor dem Reichstag die Abgeordneten wie Besucher erfreuen? Freundlich mildern heute am Großen Stern die umgebenden Bäume noch die martialischen Eindrücke. Zudem, wenn historisch«, Standorte wiederhergestellt werden sollen, dann müssten wir auch die Siegessäule wieder vor den Reichstag plazieren ...

? .. die ja mit Bismarck 1938 von Albert Speer, Hitlers Leibarchitekten, in den Tiergarten versetzt worden war. Doch: Haben Sie nur ästhetische Bedenken1*

Das Ästhetische ist bei Historiendenk malern eng mit dem Politischen verbunden. Nicht vergessen aber sei: Der Reichsgründung von oben, auf undemokratischem Wege in drei Kriegen errungen, entsprachen höchst undemokratischo Maßnahmen im Innern. Und wenn man heute zu Recht auf die unter Bismarck eingeleitete Sozialgesetzgebung verweist, die übrigens den Arbeitsschutz ausspart, so darf man auch nicht das vorausgegangene Sozialistengesetz vergessen: Zuckerbrot und Peitsche.

? Um die Berliner Parlamentarier für seinen Vorschlag zu gewinnen, operiert Hochhuth mit dem Argument, dass die Engländer sich auch nicht an ihrer \elson-Säule auf dem Trafalgar Square im Herzen Londons stören. Haben die Deut sehen ein übertrieben verkrampftes \er hältnis zu ihrer Geschichte

Ein verkrampftes Verhältnis zur Geschichte? Das musste ja wohl nach allem, was da von uns ausging, zunächst einmal sein. Wie aber entkrampft man es“7 Gewiss nicht durch Hin- und Herstellen von Denkmälern, vielmehr durch eine kritische Sicht auf das, was sie vermitteln wollen, was man eventuell aufnehmen kann und was abzulehnen ist.

? Was wäre von Bismarck aufzunehmen‹›

Von seiner umsichtigen Außenpolitik können unsere heutigen Politiker, die sich in undurchdachte Kriegsabenteuer hineinziehen lassen, viel lernen. Der alte Bismarck erkannte: Man weiß, wo ein Krieg beginnt, aber nie, wo er aufhört. Und schließlich spürte der entlassene Bismarck wohl auch die Auswirkungen von ungebremstem Monarchismus und meinte 1892 in seiner Rede in Jena, dass das Reich »ein starkes Parlament als Brennpunkt des nationalen Einheitsgefühls« brauche. Die Abwertung der Nationen - wie heute im Zuge der Globalisierungs-Mode - erschien ihm bedenklich, weil sie gerade Nationalismus hervorrufe. Da gibt es noch viel von ihm, was beden- - kenswert‹ist. Fragen: Karlen-Vnspcr

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