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- Linke in Deutschland: Georg Fülberth, Politikwissenschaftler in Marburg (Hessen) und DKP-Mitglied
»Okay, Schröder hat einen guten Schneider«
Georg Fülberth, Jahrgang 1939, zum zweiten Mal verheiratet, zwei Kinder. Politikwissenschaftler an der Universität Marburg. Schüler von Wolfgang Abendroth. Mitglied der DKP, mit ihrem Mandat 1990- 93 Stadtverordneter in Marburg. Veröffentlicht nicht in »Spiegel« oder »Focus«, sondern in »Konkret«, »Kalaschnikow«, »Freitag« und »Neues Deutschland«. Forscht zur Geschichte der Arbeiterbewegung, der Bundesrepublik und zu lokaler Zeitgeschichte. Kandidierte bei der Bundestagswahl 1994 für die PDS, findet Talkshows langweilig - es sei denn, Gysi ist dabei -, und sieht sich selbst als geborenen Kommunisten mit spätem Outing. Auf seiner Internet-Homepage beim Anbieter revolte.net läuft die Zeile »Hoch die Internationale ... Solidarität« Foto: Hübner
%Herr Fülberth, Sie sind staatlich bezahlter Politikwissenschaftler in Hessen, wo die regierende CDU einen der größten Politskandale der Bunderepublik verbrochen hat. Die Geschichte von Schwarz kanten und Vermächtnislüge liest sich wie aus einem marxistischen Lehrbuch. Wie fühlt man sich da als Marxist?
Es bestätigt meine Vorurteile, und da fühle ich mich ganz wohl. Allerdings sind die illegalen Geschichten gar nicht so interessant. Bei der CDU ist es Waffenhändlerkriminalität, bei der SPD eher Hausmeisterkriminalität. Viel mehr interessieren mich die legalen Bereiche des CDU- Filzes. Bei uns in Marburg wohnt der Chef der Deutschen Vermögensberatungs AG, eines der größten Investmentfonds. Wenn man sieht, was der sich legal an Leuten eingekauft hat - einer seiner Generalbevollmächtigten ist der ehemalige Kanzler amtsminister Bohl, ein weiterer Mitar beiter ist der ehemalige Regierungssprecher Friedhelm Ost, und der frühere hessische Ministerpräsident Wallmann ist dort auch beschäftigt dann ist das der wirkliche Filz.
? Den es immer und überall gibt.
Ja, und deshalb ist eigentlich nur interessant, weshalb es jetzt rausgekommen ist. Wenn eine Partei eine Niederlage er litten hat - wie die CDU bei der Wahl 1998 - dann wird sie auch moralisch diskreditiert. Deshalb sind doch politische Skandale das Langweiligste von der Welt: weil sie nicht die Ursache von etwas sind, sondern die Folge einer Niederlage. Wirklich übel nehme ich der hessischen CDU die Lüge, das Geld stamme aus jüdischen Vermächtnissen. Da wurde Antisemitismus bedient, und das ist eine Schweinerei.
? Es gibt den Satz von Churchill, wonach kein Herz hat, wer mit 18 kein Kommunist ist, und keinen Verstand, wer es mit 30 immer noch ist. Sie sind 60, immer noch Kommunist und außerdem Professor.
Die meisten Kommunisten in der BRD sind die ehemaligen. Viele sind in ihrer Jugend wahrscheinlich wirklich Kommunist geworden, weil sie zuerst das Herz haben sprechen lassen. Bei mir war es anders. Für mich war der Kommunismus von Anfang an Verstandessache.
? Waren Ihre Eltern politisiert?
Nicht über das übliche Maß hinaus. Mein Vater, gelernter Schreiner, war ein normales NSDAP-Mitglied. Er war schon seit 1932 drin. Kein Mitläufer, sondern überzeugt dabei. Meine Mutter war ein Dienstmädchen und politisch überhaupt nicht interessiert. Ich glaube nicht, dass sie mich politisch beeinflusst haben,
? Die 68er Bewegung ist unter anderem aus der Auseinandersetzung mit der unbewältigten Vergangenheit der Elterngeneration entstanden. Spielte das in Ihrer Familie eine Rolle?
In der Familie nicht. Viel wichtiger war etwas Anderes. Als ich an der Universität in Frankfurt (Main) studierte, gab es einen Germanistikprofessor, den ich wegen seiner Geradlinigkeit verehrte. Irgendwann kam durch Zufall heraus, dass dieser Professor 1935 in der »Zeitschrift für deutsches Schrifttum« einen Aufsatz geschrieben hatte über die rassischen Kräfte im deutschen Schrifttum. Der Professor war damals Rektor der Uni und musste 1963 wegen dieser Sache zurück treten. Das Wichtigste war für ihn, wer das rausgekriegt hatte. Zufällig war ich daran beteiligt, eine völlig harmlose sozialdemokratische Figur. Unter Studenten wurde die alte Nazigeschichte schon lange weiter erzählt. Ich erzählte sie einem Amerikaner, der den Professor damit konfrontier te. Nachdenklich machte mich, dass der Professor sofort eine Verschwörung gegen sich erfand. Ein karrierefreudiger Opportunist ohne schlechtes Gewissen. Er gehörte wohl zu denjenigen, die sich nach 1945 schon deshalb für rehabilitiert hielten, weil ihre Laufbahn ja ungehindert weiter ging. Die bürgerliche Demokratie hatte sie sozusagen ohne Verfahren frei gesprochen. Diese ganze Affäre, in der ich mich positionieren musste, hat mich stark nach links getrieben.
? Stichwort Opportunist - richtige Über zeugungstäter sind Ihnen lieber?
Die Auseinandersetzung mit allen möglichen Arten von Opportunismus hat immer mein Bedürfnis nach Klarheit bestärkt. Deshalb habe ich letztlich auch die SPD verlassen, als sie 1966 in die große Koalition mit der CDU ging. Als ich aufhörte, Opportunist zu sein, war mein Platz nicht mehr in der SPD.
? Lief das zwangsläufig auf die DKP zu?
Nein, es gab schon verschiedene Möglichkeiten. Ich war ja seit 1964 im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Und dieser SDS war ein ganz großes Erlebnis. Diese ungeheure geistige Unabhängigkeit, diese Debattenvielfalt, dieses Interesse für alles, was links irgendwann einmal geschrieben wurde - eine solche intellektuelle Anstrengung unter jungen Leuten habe ich danach nie wieder erlebt. Oben drüber thronte Wolfgang Abendroth, ein Widerstandskämpfer und unabhängiger Sozialist. Der hat doppelt belehrend gewirkt - weil er sehr viel wusste und weil er viele interessante Linke anzog.
Ich hätte es als parteiloser Sympathisant gut ausgehalten, wenn es nicht Anfang der 70er Jahre zu den Berufsverboten gekommen wäre. Dagegen wollte ich etwas tun. Da war ich schon Professor. Ich trat in die DKP ein, zumal ich mit ihren Grundsätzen übereinstimmte, und wollte mal sehen, was der Staat mit mir machen würde. Mir ist nichts passiert, Gott segne die Feigheit der hessischen SPD. Ende der 80er Jahre sind die, wegen denen ich in die DKP gegangen war, ausgetreten. Und ich blieb übrig.
? Was heißt es für Sie heute, Kommunist zu sein?
Es ist meine Art, radikal zu sein, und hat weniger mit irgend welchen Glaubenssätzen zu tun. Das DKP-Programm kann man schon deshalb nicht anerkennen, weil da noch drin steht, Kriterium für Kommunisten sei die Haltung zur Sowjetunion.
? Mit welchen Gefühlen haben Sie die Wende in der DDR beobachtet?
Ich habe das schon vorher kommen sehen Und wundere mich immer noch, dass das nicht früher passiert ist. Ich war fast nie mit Parteidelegationen in der DDR, hatte aber Freunde dort. Das heißt, ich hatte keinen parteioffiziellen Blick. Was mir meine Freunde, sehr loyale DDR-Bür ger, erzählten, passte nicht zu meinem rosigen DDR-Bild. Ich bin ja mit vollen Segeln hinter die Mauer in die DDR gefahren und dachte, dort bin ich zu Hause.
? Sie hatten eine Art Heimatgefühl?
Die DDR hatte einen großen Vorteil: Sie war nicht die BRD. Das reichte mir vollständig für angenehme Gefühle. Die DDR war für mich eine positive Projektionsfläche. Wir wussten, was Stalinismus ist, aber wir sagten uns, schlimmer als der Kommunismus ist der Antikommunismus.
? War Ihnen mit der Wende und der Maueröffnung klar, dass es in Richtung deutsche Einheit geht?
Nein. Ich wusste nur, dass diese Art Sozialismus am Ende ist. Und dass das Gegengewicht zur BRD weg ist. Für mich war und ist das eine Katastrophe.
? Die Einheit hat für Sie nichts Positives?
Nein, überhaupt nicht. Als mir Freunde aus den USA damals in einem Brief zur deutschen Einheit gratulierten, bin ich fast durch den Schornstein gefahren. Ich kann mit Nation nichts anfangen, da bin ich absolut unmusikalisch.
? Finden Sie, dass der Aufbau der PDS im Westen ein vernünftiger Versuch ist?
Ja, natürlich, und ich wünsche ihr alles Gute. Die PDS ist eine linke Möglichkeit, und deshalb verstehe ich trotz all ihrer Mängel nicht den Hass, den einige Linke auf die PDS haben. Ansonsten kenne ich die PDS zu wenig, irgendwie verstehe ich sie nicht. Sie ist wohl doch eine Ostpartei.
? Was ist Ihnen unverständlich? Dass sie eine Reformpartei sein will?
Ach, wenn es der PDS gelänge, eine anständige linke sozialdemokratische Partei zu werden, wäre das doch allerhand. Solche Parteien gibt es ja in Skandinavien. Die tolerieren immer mal eine sozialdemokratische Regierung, würden sie niemals stürzen und fangen nach links abdriftende Wähler auf.
? Was halten Sie von demokratischem Sozialismus?
Wenn man den Begriff inhaltlich füllt, kann man es ja mal versuchen. Und wenn ein besserer Kapitalismus heraus kommt als der US-amerikanische und wenn das auf das Wirken demokratischer Sozialisten zurückzuführen wäre, dann hätten sie doch einen hübschen Nebeneffekt erzielt. Dagegen ist gar nichts zu sagen.
? Sie schreiben, die DKP möchte eine revolutionäre Partei sein. Was fehlt dazu?
Eine revolutionäre Situation. Bis wieder eine eintritt, besteht ihre Aufgabe darin, auf die Perspektive jenseits des Kapitalismus hinzuweisen. Er ist endlich, aber vielleicht hat er noch 500 Jahre. Die Reformarbeit sollten wir mit großem Ver gnügen der PDS überlassen.
? Nach Ihren Analysen zu urteilen, haben Sie für Rot-Grün nicht viel übrig.
Rot-Grün kann mich nicht enttäuschen, weil ich davon nicht viel erwartet habe.
? Ist es Ihnen egal, ob Kohl regiert oder Schröder?
Wo sind denn die Unterschiede?
? Meinen Sie nicht, dass die kleinen Leute, die nicht wohl bestallte Politologen sind, froh sind über mehr Kindergeld?
Ja sicher, da hat Schröder ein paar soziale Grausamkeiten von Kohl zurückgenommen. Aber die Erhöhung des Kinder geldes beispielsweise traf auf alle zu und hat nichts mit Umverteilung von oben nach unten zu tun.
? Ändern Sie Ihre Meinung, wenn die Ar beitslosigkeit spürbar sinken sollte?
Die Arbeitslosigkeit wird sinken, weil demnächst starke Jahrgänge in Rente gehen und weil die Konjunktur ganz gut ist. Nicht, weil Schröder regiert. Allenfalls wird das Investitionsverhalten der Unter nehmen angeregt durch einen kapitalfreundlichen Kanzler.
? Vielleicht ist der Genosse der Bosse ja doch von Nutzen.
Schröder ist ein ganz guter Kommunikator. Er hat gute PR-Berater, er hat einen guten Schneider, das ist alles technisch okay. Aber ich bin doch kein Backfisch, der sich in einen Schauspieler verliebt.
Fragen: Wolfgang Hübner
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