Gibt es ein Leben nach Pommritz?
Das sächsische LebensGut. ökologische Alternative und »erotisches Kloster«
Von Michael Bartsch, Dresden
Kleine Lebenskreise statt Konsumterror - Anspruch der Bewohner des LebensGutes Pommritz, das von der Modellkommune zum Expo-Proiekt avancierte.
Eine Wirtschaftsordnung für Gaia. Auswege aus der ökologischen Krise», war eine Vorlesung überschrieben, die im Juni 1991 an der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Referent: Kurt Biedenkopf, sächsischer Ministerpräsident und Autor des ökologisch inspirierten Buches «Die neue Sicht der Dinge». Eingeladen hatte Rudolf Bahro, Philosoph, radikaler Träumer und frisch berufener Dozent am Lehrstuhl für Sozialökologie. Nach dem Referat sinnierten die beiden Herren über ökologische Chancen beim ostdeutschen Wandel. Mit einem Flecken Land und ein wenig Geld könne er aushelfen, sagte Biedenkopf. Interessanter seien die Menschen: Sind die in der Lage, selbstverantwortlich zu leben - und zu wirtschaften? Wer heute mit der Erwartung nach Pommritz fährt, dort so etwas wie die legendäre Kommune 1 vorzufinden, wird angenehm enttäuscht. In dem Flecken zwischen Bautzen und Löbau erwarten ihn teils herrschaftliche, teils verfallene Gebäude einer 150 Jahre alten ehemaligen landwirtschaftlichen Forschungsanstalt. Niemand kleidet sich hier in Fellen oder wohnt im Tipi. Es gibt komplette Familien und fließendes Wasser. Die Spötteleien über das «Liebes-» oder «Überlebensgut» sind längst verstummt. Die Produkte des ökologischen Landbaus sind nicht zu verachten, das Brot aus eigener Bäckerei ist unerreicht, und im Hof kann mit einem Sonnenspiegel gekocht werden.
Nicht einmal das gemeinsame Mittagessen ist Pflicht, wird aber von vielen der etwa 30 Erwachsenen und 20 Kinder gern wahrgenommen. Pommritz ist höchstens ein «erotisches Kloster», sagte Bahro. Einen richtigen Guru gibt es auch nicht, obschon sich «gruppendynamische Prozesse» abspielen und Autoritäten herausbilden. Eine solche ist zweifellos Maik Hosang, Weggefährte des 1997 verstorbenen Bahro, Mitbegründer des LebensGutes und selbst habilitierter Philosoph. Was er zu den Intentionen dieser Lebensform sagt, lässt sich unter die Schlagworte «Ausstieg aus der Megamaschine, ganzheitliches Leben und Gemeinschaft» fassen. Was verbindet, ist nicht Ideologie, sondern Toleranz gegenüber pluralen Lebensauffassungen: «Von allem das rechte Maß einhalten. Wir sind eine Antwort auf die scheinbare Freiheit in dieser sehr festgelegten Gesellschaft und auf die entfremdete Arbeit in ihr», sagt Hosang.
Die Verbindung mit der Außenwelt ist intensiver als vermutet. Das verraten nicht nur Fernsehantennen, Computer und Kopierer. Nicht alle Bewohner arbeiten in der Landwirtschaft. Manche fahren nach Bautzen, wie der Künstler Ulrich Schollmeier. Eberhard betreibt in der Nähe ein Steuerberaterbüro. Auch mit Gleichgesinnten ist man verbunden und betreibt Bildungsarbeit. Hosang zufolge besteht die wirkliche Alternative nicht in Flucht und Enklave, sondern im bewusst anderen Leben in einer kaputten Welt. «Bewegung für eine fried- und freudvollere Zukunft von Mensch und Erde», heißt es im gegenwärtig diskutierten Entwurf einer LebensGut-«Verfassung». Bei der Vorstellung beruft man sich auf ein Biedenkopf-Zitat. Die Alternative zum Konsumzwang seien «kleine Lebenskreise».
Dazu muss sich das Gut auch wirtschaftlich selbst tragen. Nachdem der Freistaat in der Gründungsphase 1992 eine Anschubfinanzierung leistete, stehen nur noch die üblichen Förderprogramme zur Verfügung. Seit zwei Jahren immerhin ist der Verein nun zumindest Eigentümer des Grundstücks. Neben der Landwirtschaft finanziert er sich vor allem aus den Mietzahlungen der eigenen Mitglieder. Innerhalb des Gutes findet man Beispiele einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft.
Im Vereinsvorstand wird Arbeitsteilung praktiziert: Landwirtschaft, Soziales und Geistesarbeit. In letzteres Ressort gehört Ullrich Schollmeier, der im Theatersaal eine Fülle skurriler Objekte ausgestellt hat. Ein Exkurs zwischen Wissenschaft und Kunst, ein Lehrgang in Sachen Welträtsel auch für die Kinder des Gutes.
Junge Leute finden in Pommritz ein Stück Weltharmonie, andere fanden nach Lebenskrisen hierher. Dieter, erfolgreiches «Kind der Marktwirtschaft», kam sogar aus Stuttgart, weil er «endlich einmal etwas anderes probieren wollte». Diesen Selbstversuch kann jeder jederzeit aufgeben. Aber- «Gab es ein Leben vor Pommritz? Gibt es ein Leben nach Pommritz?»
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